Die Henebichlalm ist die Alm vom Lammwirtshaus in Großarl. Sie ist mein schönster Platz auf der Welt.
Schlüssel&Erlebnisse
die mein Leben prägten und veränderten und was hat die Kirche aus unserer ländlichen Seele gemacht
Henebichlalm ist die Alm vom Lammwirtshaus in Großarl. Sie ist mein schönster Platz auf der Welt. Schlüssel&Erlebnidie mein Leben prägten und veränderten und was hat die Kirche aus unserer ländlichen Seele gemacht Franz Rohrmoser 2023 Welche Erlebnisse/ Ereignisse waren es, die mich am meisten bewegten und mein Leben beeinflussten? Bei der Suche komme ich auf sieben. 1. Schlüssel&Erlebnis Eine Selbstschädigung bei Pilgern in Fatima löste in mir eine Revolution aus 2. Schlüssel&Erlebnis Betroffenenbeteiligung in Brasilien gelernt: Umstellung vom Belehrenden zum Lernenden und meinLernprojekt in Salzburg 3. Schlüssel&Erlebnis Die deftige Einführung von Franz Stummer in die Bauernpolitik 4. Schlüssel&Erlebnis Gelungene wirtschaftliche Kooperation in der Firma Chico Hängematten 5. Schlüssel&Erlebnis Fehlende Förderung von Talenten in Afrika ist unterlassene Hilfeleistung 6. Schlüssel&Erlebnis Die Ausbildung zur Konfliktforschung.Josef Krammer holte mich aus dem Stillstand meiner Parkinsonkrankheit zurück und die IG-Milch hat mich dann zehn Jahre gefordert 7. Schlüssel&Erlebnis Das Untertansystem als Erbe vom Gottesgnadentum hat unsere Bauernwelt noch fest im Griff Einleitung Meine ersten 22 Lebensjahre war ich auf dem elterlichen Bauernhof in der Landwirtschaft und auf mehreren Bauernhöfen als Handwerker tätig. Mein Hobby war es, selber Maschinen zu bauen – Kreissägen, Hobelmaschinen. Bereits in jungen Jahren war ich sozial aufgeweckt und interessiert. Wie ein Soziologe beobachtete ich die sozialen Verhältnisse und schaute mir zum Beispiel Armenviertel in Städten an. Deshalb meldete ich mich mit 23 Jahren bei der Entwicklungshilfeorganisation ÖED als Kandidat an. Mein jüngerer Bruder Anton, kurz Toni, wollte auch einen Einsatz machen und ging mit mir. Im Zuge eines Vorbereitungskurses in Westfalen wurde uns ein Projekt für vier Leute im Bundesstaat Mato Grosso in Brasilien zugewiesen. Angefordert waren: Ein Handwerker – das war ich; ein Landwirt – das war Toni; eine Krankenschwester – das war die Anne Außerhofer aus dem Tiroler Lechtal; eine Hauswirtschafterin – das war die Marianne Fingerlos aus dem Lungau. Wir vier wurden vom österreichischen Jesuiten Joau (Hans) Dornstauder angefordert, der schon lange in Brasilien tätig war. Er brauchte dringend Unterstützung. Zur Vorbereitung dieses Einsatzes gehörte ein dreimonatiges Sprachpraktikum in Portugal. Dort landete ich in ländlichem Gebiet in einer Landgemeinde namens Amendoa im Pfarrhaus des Dorfes. Die Eltern des Pfarrers hatten ein kleines Weinbauerngut in der Nähe des großen Marienwallfahrtsortes Fatima. 1. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Eine Selbstschädigung von Pilgern in Fatima. Der Blick auf die kriechenden Leute löste in mir eine Revolution aus Bei einem Besuch in Fatima passierte Mitte September 1966 ein außerordentliches Ereignis, das mein bisheriges Leben, meine Gesinnung und meinen Glauben an Gott langsam aber nachhaltig veränderte: Ich wanderte über den großen Platz vor der Basilika und bemerkte bei einer Kapelle eine Menge geschundener, sehr arm und gequält wirkender Menschen, die auf den bereits zerschundenen Knien betend rund um die Kapelle krochen. Mich erschauderte dieses Bild, das sich in meinem Kopf verewigte. Und ich sehe das Bild heute nach rund 50 Jahren immer noch deutlich. Ich war als Jugendlicher bis dahin ein sehr gläubiger und frommer Mensch. Dieser Blick auf die kriechenden Leute löste in mir plötzlich viele Fragen aus: · Wie kommt es, dass die Kirche ihren Gläubigen solche unwürdigen selbstschädigenden Aktionen zulässt oder sogar auferlegt? · Welches Gottesbild ist hier wirksam? Wurde Gott als strafende Instanz sogar bewusst verwendet, um die kleinen Leute ruhigzustellen, dass sie sich selber quälen, um sich zu unterwerfen? · Da tauchte noch ein anderes, bekanntes Thema in mir auf: die Sexualverbote der Kirche. Wenn bei uns in der Berggemeinde Großarl in den 1950er-Jahren eine Frau ein Kind bekam, ging sie nachher in der Kirche zum Seitenaltar zur Abbitte und erbat sich den Segen des Priesters. War sie in Schuld geraten, weil zum Kinderkriegen auch sexuelle Liebe gehört? Also war ein sexueller Kontakt bis in die Ehe teuflisch. Diese liebesfeindliche Kirche machte dem Menschen – die alle sexuelle Wesen sind – ständig ein schlechtes Gewissen. Ich ging damals schon innerlich auf Distanz zu einer Kirche mit einem so strafenden, liebesfeindlichen Gott, der Schuld und Scham verbreitet. Das war der nicht mehr aufzuhaltende Start zu einem Überdenken meiner bisherigen Gläubigkeit. Ich wurde zum Analytiker. Das setzte sich die nächsten 50 Jahre fort. Eine zweite Phase der Kirchenmoral Die zweite Reflexion erfolgte nach meiner Rückkehr aus Brasilien anfangs der 1970er-Jahre, als ich Angestellter der Kirche war. In dieser Phase beobachtete und untersuchte ich das Verhältnis der Kirche zur Moral, und zwar am Beispiel meiner Großeltern in Wagrain: Weil ihr erstes Kind noch vor der Ehe geboren wurde, mussten sie zum Bischof nach Salzburg reisen, um Abbitte zu leisten. Das bedeutete eine starke Kränkung für ihre Eltern, die stolze Leute waren, erzählte mir die Tante. Da ich damals an politscher Bewusstseinsbildung arbeitete, befasste ich mich – mit meinem Blick auf die kriechenden Leute in Fatima – mit der Frage, welche Rolle eine solcherart disziplinierende Kirchenmoral auf die Menschen politisch hatte. Dabei wurde die Selbstunterdrückung mit Schuld und Scham, in der sich die Leute selber kleiner machen als sie sind, mit Verstärkung von Hörigkeit in der Politik sichtbar. Ich persönlich wurde dabei paradoxerweise, damals als Angestellter der Kirche, immer ungläubiger. Eine dritte Phase der Analyse begann vor zehn Jahren. Ich begegnete in meiner Konfliktforschung dem System des mittelalterlichen Gottesgnadentums, das von 800 bis 1900, also mehr als 1000 Jahre, im Mittelalter Gültigkeit hatte. Das erinnerte mich wieder an meinen Blick auf die kriechenden Leute 1966 in Fatima. Im Buch von Inge Zelinka/Graz „ Der autoritäre Sozialstaat“ fand ich die Information zum Gottesgnadentum, und das war wieder ein Ereignis, welches mich tief erschütterte. Meine letzte Analyse dazu sieht man im kommenden Punkt 7. Gleichzeitig begann in mir ein neuer positiver Prozess der Reflexion über meine vor gut 50 Jahren verlorene Gläubigkeit. Anlass dazu war, dass mir der Pastoralassistent der Pfarre Kuchl, Klaus Leisinger, das Buch von Papst Franziskus LAUDATO SI schenkte und mich in den Umweltausschuss der Pfarre Kuchl integrierte. In LAUDATO CI hat Franziskus die zwei Hauptthemen unserer Zeit – das soziale Problem und das Klimaproblem – so treffend beschrieben, es fasziniert mich. Franziskus kommt von den Jesuiten Südamerikas, die mich 1969 in die neue Politik einschulten, daher ist mir sein Wesen vertraut. Also LAUDATO SI hat mich ein Stück zurückgebracht. 2. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Betroffenenbeteiligung in Brasilien gelernt. Umstellung vom Belehrenden zum Lernenden. Mein Lernprojekt in Salzburg In unserem Projektgebiet in Mato Grosso, Brasilien, waren wir als Österreicher gut bei den Jesuiten in der Diözese Diamantino integriert. Im zweiten Jahr unseres Einsatzes kam eine Gruppe junger Fachleute von der Jesuitenausbildung aus dem Raum Sao Paulo zu uns nach Mato Grosso in den Norden. Das waren gut ausbildete, fähige Köpfe, die wie üblich neben der Theologie ein zweites Fachgebiet abschließen. Es kam ein Ethnologe, je ein Jurist, Soziologe, Biologe, und andere. Sie griffen in den korrumpierten staatlichen Indigenenschutz ein. Dabei wurden neue Wege beschritten, wobei die Achtung der ursprünglichen Kultur der Indigenen Völker und deren rechtliche Landabsicherung Priorität hatten. Als ich und mein Bruder Toni zu Hause in Österreich vom Pfarrer verbschiedet wurden, sprach er den üblichen Satz: „…gehet hin und lehret alle Völker…“ Wir waren dann mit unserem Einsatzleiter Padre Joao Dornstauder und einigen einheimischen Indigenes in den Gewässern des südlichen Amazonasgebietes mit Motorboot zwei Wochen unterwegs, bis wir unseren Einsatzort erreichten. Dabei merkte ich, dass ich hier zuerst von den Einheimischen lernen musste, um gut im Wald zu überleben. Dabei stieg in mir die Bewunderung angesichts der Kompetenz dieser Einheimischen, die unser Boot lenkten, und geriet dabei in einen heftigen inneren Kampf mit meinem unbewussten Verständnis, dass ich als Lehrer hinfahre. Gehet hin in alle Welt und lehret… Der Gedanke, ich sei hier der Lernende, war noch nicht genug reflektiert. Aber mit einigen Wochen innerem Kampf gelang es zum Glück doch. Diese innere Bereinigung wurde zu einer wichtigen Grundlage für weitere notwendige Lernschritte. Ich erinnere mich an den Direktor Schmauch von der Ausbildungsstelle Klausenhof an der deutsch-holländischen Grenze, der 1966 zu mir sagte: Herr Rohrmoser, Sie sind aufgrund Ihres Einfühlvermögens sehr geeignet zur Entwicklungshilfe, aber bitte lernen Sie deutsch. Mein Pongauer Volksschuldeutsch reichte nicht aus. Ich hatte großes Glück, vor allem den Jesuiten Egidio Schwade, einen Mann mit strategischem Talent, näher kennenzulernen und viel von ihm zu lernen. Er half, den Entwicklungsdienst OPAN aufzubauen. Sie wurde zu einer wichtigen Forschungs- und Klimaschutzstelle zur Erhaltung des Regenwaldes. Zwei Jahre später begann Schwade mit der Gründung des bis nach Europa bekannten Indigenenschutzes CIMI, bei der der bekannte, aus Vorarlberg stammende Bischof Erwin Kräutler lange den Vorsitz führte. Die CIMI ist jene Organisation, die mit Erfolg beim Justizministerium die staatliche Anerkennung der Grundbesitzrechte der Indigenen Völker durchführte. Egidio Schwade erklärte mir den neuen politischen Weg der Reflexion mit den Betroffenen, um diese selber bei Problemlösungen zu beteiligen. Man nannte dieses Konzept auch die Befreiungstheologie. Dieses Konzept der Teilhabe von Betroffenen an der Problemlösung bewegte mich dazu, ein politisch aktiver Mensch zu werden. Aber meine ursprüngliche Gläubigkeit wich einer Neugierde und der Lust, die Welt genauer anzusehen. Ich reiste im März 1970 wieder heim nach Österreich. Mein Bruder Toni und beide Frauen taten dies bereits drei Monate früher im Dezember 1969. Vorher lud der Profi Egidio Schwade anlässlich der Gründung der OPAN meinen Bruder noch nach Südbrasilien ein, zu seinem Bericht über den Einsatz für brasilianische Entwicklungshilfe. Ich musste noch unsere Nachfolger aus Österreich einführen. Im März 1970, bevor ich per Schiff heimreiste, erlebte ich noch gemeinsam mit Egidio Schwade ein Schockereignis in Sao Paulo. Schwade nahm mich mit zu Freunden vom Dominikanerorden. Als wir ankamen, saßen seine Freunde blass und geschockt in der Wohnung und sagten: Gestern haben die Militärs unsere Kollegen abgeholt und gerade jetzt werden sie wahrscheinlich gefoltert. Das so nahe mitzubekommen ist ein Schock. Schwade erklärte mir dann: Uns Jesuiten getrauen sie sich nicht einzusperren und zu foltern, weil unsere Oberen die Lehrer dieser folternden Militärs waren. Von den Militärs verfolgt wurden damals die Träger der Befreiungsbewegung. Mit Schwade vereinbarte ich tags darauf, dass wir uns in Österreich wieder treffen wollten. Da fuhren wir nach Wien zur Sternsinger-Aktion. Schwade brauchte Geld für seine Aktion und hatte dabei Erfolg. Die sternsingenden Kinder Österreichs finanzierten in den letzten 50 Jahren wesentliche Teile des Indigenen Schutzes im Regenwald. Sie schützen damit die Umwelt, denn dort, wo Einheimische die Grundbesitzrechte haben, bleibt der ursprüngliche Regenwald bestehen. Ich wurde für drei Jahre kirchlicher Angestellter über die Katholische Aktion Während ich nun anfing, ein neues Berufsfeld auszuloten, begann Bruder Toni eine Akademiker-Ausbildung, beginnend mit der Mittelschule. Es war logischerweise ein schwerer Neuanfang für beide nach vier Jahren Abwesenheit. Ich war auch gesundheitlich angeschlagen, diverse schwere Malariaanfälle hatten mir – vor allem meiner Leber – zugesetzt. Ich musste erst mal gesund werden und wohnte daher die ersten Monate am Bauernhof bei meiner ältesten Schwester Theresia und Schwager Toni. Ich baute mit ihm den Stall neu auf und meine Schwester umsorgte mich mit guter Diätkost. Das ließ mich mit 27 Jahren neu erstarken. In Salzburg wurde gerade ein Jugendsekretär gesucht, ich bewarb mich und wurde ab Oktober 1970 zum Angestellten der Katholischen Aktion Salzburg als Diözesansekretär für Jugend Land. Die Katholische Aktion hatte als Selbstverständnis, dass sie neue Entwicklungen als Katalysator anstoßen wollte, also etwa für Problemlösungen und neue Strukturen in der Gesellschaft tätig zu werden. Das passte genau in meine Vorstellung zur Umsetzung des in Brasilien gelernten Ansatzes der Beteiligung. Mein Lernprojekt in Salzburg: Anstoß für Maschinenringgründungen im Land Salzburg Kritische Menschen sahen, wie viele Bauern sich durch den Kauf von zu vielen Maschinen überschuldeten. Als Antwort darauf konnte man Maschinenringe nach der Idee von Erich Geiersberger in München in Selbstorganisation aufbauen. Raiffeisen war der größte Verkäufer von Maschinen und stand logisch der Selbstorganisation der Bauern zum Einsparen von Maschinen eher ablehnend gegenüber, das ging gegen sein Geschäft. Die Sparkasse in Österreich organisierte in der Stadt Hallein einen Vortrag mit Geiersberger, ich nahm teil und lernte einen frechen, wortgewaltigen Kämpfer für Bauernanliegen kennen. Ich ging nach dem Vortag zu Geiersberger hin und fragte, ob er mit der Katholischen Landjugend auch Referate halten würde. Gerne, sagte er, er mache mit der Katholischen Jugend in Bayern gute Erfahrungen. Der anwesende Direktor der Sparkasse aus Wien hörte das und machte mir das Angebot, für jeden einzelnen Vortrag 7.000,- Schillinge zu zahlen. Die Sparkasse wollte bei Bauern mehr Fuß fassen. Ich gewann dann das Katholische Bildungswerk in Salzburg als professionellen Mitveranstalter. Vier Großveranstaltungen waren ein heftiger Eingriff in Salzburgs Politik Der erste von insgesamt vier Vorträgen mit Erich Geiersberger fand bei vollem Festsaal im Heimatbezirk St. Johann im Pongau im Frühjahr 1972 statt. Dieser Fachmann sprach sehr deutlich die Konflikte der Bauern an, er sagte unter anderem: „Die Agrarpolitik des Freistaates Bayern und die Agrarpolitik von Österreich ist Massenkorruption und Stimmfang, das liebe Stimmvieh Landvolk soll bei der Stange gehalten werden.“ Solche krassen Sätze muss man zunächst erst einmal als Veranstalter aushalten. Darauf folgten drei weitere in Mittersill, in Tamsweg und in Neumarkt am Wallersee, wo wir sogar 400 Anwesende zählten. Ich suchte nach jedem Vortrag die interessiertesten Leute heraus als Gründungsgruppe für die Maschinenringe und holte mir nach jedem Vortrag bei der ansässigen Sparkasse die 7.000,- Schillinge ab, denn das waren ungefähr auch die Kosten einer solchen Veranstaltung. In Mittersill tagten im Nebenzimmer die Leiter der Pinzgauer Raffeisenkassen. Das war ein Zeichen, dass sie sich vor dem Mitbewerber Sparkasse fürchteten. Sie holten mich zu sich, es war ein Raum voller Kassenleiter, und sie boten mir auch Zahlungen an. Inzwischen beschwerte sich der Direktor der Salzburger Landwirtschaftskammer Daghofer beim Erzbischof über meine Unruhestiftung bei Bauern und damit war es mit der Gemütlichkeit auch vorbei. Mein zuständiger Chef in der Kirche war der Seelsorgeamtsleiter der Diözese, der meinen politischen Ansatz ohnehin ablehnte. Er bot mir als Alternative an, mit ihm einige Wochen Meditationsreise nach Rom zu unternehmen, was ich ablehnte. Er nutzte die Unsicherheit meiner Kollegen/innen, um sie auf seine Seite zu ziehen. Ich stand nun vor einer Mauer des Misstrauens. Aber die beiden Kollegen des Katholischen Bildungswerkes standen zu mir. Die Raiffeisenbanken verwiesen mich, als ich wirklich um Geld anfragte, an ihren mächtigen Chef Leobacher, der mich dann hochgrantig in seinem imposanten Büro in der Schwarzstraße in Salzburg empfing und mich barsch fragte: „Was willst?“, worauf ich sagte: „Geld für Referenten bei Trainings-Seminaren zur Gründung von Maschinenringen.“ Er füllte zornig einen Scheck über 7.000- Schillinge aus, streckte ihn mir her und sagte, ich solle sein Büro verlassen. Er warf mich also hinaus. Es blieben 7.000,- Schillinge für Seminare und ein sehr gespanntes Verhältnis zu Raiffeisen. Das war mein Eingriff in die Salzburger Politik und meine erste Erfahrung mit Raiffeisen. Im Land Salzburg wurde in jedem der fünf Bezirke ein Maschinenring von Bauern selbst aufgebaut, ich organisierte noch Seminare für Aufbauhilfe der zu bildenden Vorstände. Dieser Eingriff war für mich ein Probelauf, aber es prägte mich, ich spürte, es würde noch Größeres auf mich zukommen. Bemerkung: Ich habe kein einziges Mal von den Maschinenringen gehört oder gelesen, dass es mein Einschreiten überhaupt gab. Das musste verschwiegen werden. Macht durch Fürsorge Raiffeisen übernahm dann bei allen fünf Maschinenringen die Kosten eines Geschäftsführers. Diese Gehälter von fünf Managern, deren Einwirkung den Maschinenverkauf senken sollte, bedeuteten hohe Kosten pro Jahr und dazu minderten sie auch noch das Geschäft beim Maschinenverkauf. Raffeisen zeigte damit, dass die Bauern zu ihnen gehörten und nicht zur Sparkasse. Es wurde auch sichtbar, dass Raiffeisen die Politik bestimmte und nicht, wie man meinte, die Kammer. Das sagte damals schon der junge Bauer Robert Zehentner. Er war Landesobmann der Landjugend und baute mit Melchior Kellner den Pinzgauer und Pongauer Maschinenring auf. Es waren zwei große politische Talente. Praktisch gelenkt wird die Politik mit dem autoritären Prinzip ‚Wer zahlt schafft an‘ und Bauern, die Förderungen brauchen, knicken an dieser Stelle ein. Sie werden Abhängige. ‚Macht durch Fürsorge‘ heißt das Rezept. Die Sparkassen durften nicht an die Bauern herankommen. So gesehen verstehe ich den enormen Zorn des Raiffeisenchefs auf mich. Ich verursachte ihnen hohe Kosten. Nun ging mein Weg weiter nach Wien „Ich habe für dich in Wien eine geeignete Aufgabe“, sagte im August 1973 Dr. Peter Gruber, Leiter der Bildung in der Katholischen Sozialakademie zu mir. Er vermittelte mich mit Franz Stummer. Es ging um die Gründung der österreichischen Bergbauernvereinigung. Franz Stummer war Leiter der Bergbauernabteilung in der obersten österreichischen Landwirtschaftskammer, der PRÄKO. Ich hatte vor allem bei solchen Übergängen auf eine neue Tätigkeit das Empfinden, ich müsse einem Ruf folgen. 3. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Die deftige Einführung von Franz Stummer in die Bergbauernpolitik Franz Stummer war ein christlich sozialer Einzelkämpfer und ein guter Experte in Sachen Bergbauern. Der damalige Bundeskanzler Kreisky, dem die Bergbauern ein persönliches Anliegen waren, machte den ÖVP-Bauernbundtreuen Stummer zu seinem Berater. Stummer hatte bereits bei einem Juristen Statuten für eine Österreichische Bergbauernvereinigung vorbereitet und ich war nun dafür vorgesehen, dieses Ding österreichweit zu organisieren. Die Bauern müssten sich selbst politisch vertreten, sagte er und erklärte mir die Politik so: „Es gibt eine Gaunerei in der Politik. Die Bergbauern werden als glaubwürdige und förderungsberechtigte Bauern vorne hingestellt, damit der Staat für sie Geld freimacht – kassieren tun aber dann ganz andere.“ Diese deutliche Ansage einer Gaunerei bedeutete Korruption im System, das war mir noch neu. Das ergab in meinem Leben das dritte Schlüsselerlebnis. Diese deftige Grundinformation von Franz Stummer prägte sich wieder tief in meinem Empfinden ein und blieb somit im Zentrum meines weiteren Handelns. Wir nannten diesen Vorgang den Vorspannmechanismus, und dieser Mechanismus erwies sich in den seither vergangenen rund 50 Jahren als sehr hartnäckig. Ungerechte Verteilung der Agrargelder und das Vorspannen anderer gibt es immer noch, und das in neuen Varianten. Das ist sowohl in Österreich als auch in der EU ein großes Thema geblieben. Nun, was passiert in diesem Mechanismus? Sieht man genauer hin, werden im Vorgang fünf Konflikte sichtbar: 1) Die ärmeren Bauern werden durch das Vorschieben getäuscht, betrogen, bestohlen, diese Spaltungpassiert innerhalb des nach außen einheitlich wirkenden Bauernbundes. 2) Auch die Steuerzahler/innen werden dabei getäuscht und benutzt, der Vorgang zeigt eine Korruption. 3) Es wird ein selbstverständliches Benutzen anderer sichtbar, es ist eine Benutzergewöhnung, die systemisch in den Genen liegt und vor- und undemokratischen Regeln unterliegt. Der sehr beständige Benutzer- Mechanismus zeigt, dass die Wurzeln noch aus dem Denken des 1000 – jährigen Gottesgnadentums stammen. 4) Die betroffenen Bauern werden einfach kollektiv in Großgruppen, wie Bergbauern, Viehbauern, Milchbauern etc. mit solchen Abläufen gelenkt. 5) Die Durchführung und Abwicklungen der Förderungen macht seit jeher der gespaltene Bauernbund in den Landwirtschaftskammern und im Ministerium. Aufbau der Bergbauernvereinigung Ich arbeitete dann ab Oktober 1973 an der Gründung der Österreichischen Bergbauernvereinigung (ÖBV). Die ersten drei Monate bis Ende 1973 konnte ich das noch als bezahlter Angestellter der Katholischen Aktion Salzburg machen. Ich bekam Adressen von Kursteilnehmern in der Katholischen Sozialakademie und von Führungskräften der Katholischen Jugend. Mit diesen Adressen fuhr ich quer durch Österreich auf der Suche nach Menschen, die zivilen Mut besitzen und sich etwas zutrauen – und ich traute es mir selber zu. Tatsächlich hatte ich bereits im dritten Monat 25 Interessenten und eine Interessentin für ein Gründungsseminar im Bundesheim für Erwachsenenbildung in Strobl für Mitte Dezember gefunden. Sie kamen von Osttirol bis Niederösterreich. Ich plante das Seminar exakt so, dass Franz Stummer erst gegen Ende des Seminars sein Referat hielt und wir anschließend die ÖBV offiziell gründeten. Ich plante am Beginn drei Tage ein zur Einführung eines Politikansatzes für Beteiligung der Betroffenen von unten, so wie ich es in Brasilien gelernt hatte. Dabei wurde mein Plan zur Einführung der neuen Politik voll wirksam. Da die Teilnehmer ohnehin nur die übliche Politik von oben – vom Bauernbund – kannten, waren sie sehr dankbar für die neue Form der Beteiligungspolitik. Ein unausweichlicher Konflikt mit Stummer Als dann Franz Stummer am Ende des dritten Tages sein Referat hielt und der Ablauf seines Vorschlages nach dem üblichen Bauernbundprinzip nur von oben kam, er sich nur im Inhalt, aber nicht in der Methode unterschied, wurden ihm so viele Fragen gestellt, dass die Gründung zunächst scheiterte. Dieses Modell von oben haben wir bereits, bekam er mehrmals zu hören. Es ereignete sich soeben eine Revolution. Stummer war stinksauer auf mich und machte mir Vorwürfe, was ich da für einen widerspenstigen Zirkel organisierte. Da er aber lernfähig und nicht nachtragend war, vollzogen wir dann doch im Jänner 1974 die gemeinsame Gründung der ÖBV, mit der Wahl eines Vorstandes. Diese Sätze klingen einfach, aber jene Schritte so zu gehen kosteten mich meine ganze Kraft und ich bekam in Zeiten solcher Belastungen – wie in diesem Jahresübergang 1973/74 – Gallenschmerzen. In einigen Sätzen: Wie ging es weiter Wegen der ÖBV-Gründung zog ich mit meiner Frau Hilde – wir waren erst ein halbes Jahr verheiratet – Anfang 1974 nach Wien und kündigten dazu beide in Salzburg unseren Job. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Finanzierung im neuen Verein. Ich hing in der Luft. Da suchte Stummer in Wien mit Erfolg eine Arbeit für meine Frau Hilde als Kinderkrankenschwester, damit zumindest eine Geld verdiente. Für die kinderliebende Frau war das ein Volltreffer. Die Finanzierung der ÖBV erreichten wir erst ein halbes Jahr später über Kreisky und Minister Sinowatz bei der Erwachsenenbildung im Bildungsministerium. Der Bauernbund zeigte mit Schikanen an Stummer sein wahres Gesicht Franz Stummer – der treue Bauernbundmann – erlebte von seinen oberen Kollegen im Bauernbund nun die Hölle mit Terror. Bauernbunddirektor Sixtus Lanner war der Mann fürs Grobe und quälte Stummer am Telefon, dass dieser mehrmals nach den Gesprächen weinend anrief. Stummer verlor seinen Leitungsposten in der Bergbauernabteilung der PÖRÄKO und wechselte zu den Bundesforsten. Sein Nachfolger war ein guter Bekannter von mir, aber er bekam Kontaktverbot mit mir und als ich ihn zufällig traf, ‚erkannte‘ er mich nicht mehr. Das war Terror. Das Verhalten von Stummer, dass er trotz dieser handfesten Schikanen seinem Bauernbund unterwürfig treu blieb, zeugt von einer Zwangsbindung zum Bauernbund, die man nur mit einem unbearbeiteten, früheren Trauma erklären kann. Zum Beispiel wollte Kreisky ihn als Staatssekretär für Bergbauern. Stummer antwortete, er müsse zuerst seinen Chef, den Bauernbundpräsidenten, fragen – und der sagte ‚nein‘. Dieser Punkt, dass betroffene Bauernbündler trotz Schikanen und Verrat ihren Peinigern die Treue halten und sie wiederwählen, ist bekannt. Ich gehe im Erlebnis 7 darauf ein. Das grenzwertige Treffen der mächtigen Bauernführung mit unserem jungenVorstand Als ein halbes Jahr nach der Gründung der ÖBV die Bauernbund- und PRÄKO-Spitze unseren jungen Vorstand zu einer Aussprache einlud, wurde es in mehrerer Hinsicht grenzwertig. Stummer zitterte vor Aufregung und unsere frisch gewählten Obleute waren noch nicht trainiert genug, um so einem gebündelten Gegner gegenüberzusitzen. Unsere drei gewählten Obleute, Franz Stummer und ich saßen dann dem Spitzengremium der Agrarführung gegenüber. Die Luft war zum Schneiden dick. Nach einigem Hin und Her verlangte der Direktor Sixtus Lanner einen monatlichen Bericht. Wir spürten, jetzt geht’s um‘s Eingemachte, um unsere Selbständigkeit. Betretenes Schweigen breitete sich aus, bis es aus mir herausplatzte: „Wir haben euch nicht gefragt, ob wir uns gründen dürfen, und wir werden euch auch nicht fragen, was zu tun ist.“ Eisiges Schweigen. Stummer war blass, unsere Gegenüber ebenfalls, die waren so eine eigenständige Antwort nicht gewohnt und Stummer wäre wohl – ohne meinen Beitrag – an dieser Stelle eingeknickt und wieder zurückgerudert. Die drei Bauern waren mit mir einverstanden, aber in diesen ersten Monaten noch nicht trainiert genug und geistig getrennt, um das ihren ‚Oberchefs‘ zu sagen. Stummer erzählte mir später einmal, wie die Führungsspitze mich erlebte. „Dem kann man nicht an, der ist im Ausland geschult“, sagten sie. Die nächste Bauerngruppe, ein gutes Jahr später, war bereits trainiert und sie sprachen ihre Eigenständigkeit selber aus, vor allem der Sepp Amerstorfer aus dem Mühlviertel. Wir trainierten uns für professionelle Politik Der Vorstand beschloss dann eine Serie von Trainingskursen für sich selber und einen erweiterten Kreis, wir machten ein starkes Training zur Selbstermächtigung mit dem deutschen Trainer Stefan Karlstetter. Nach zwei Jahren merkte die ganze Agrarpolitik, dass in den Regionen die ÖBV-trainierten Bauern wie Profis auftraten und den üblichen regionalen Politkern überlegen waren. Sie waren Praxisexperten, die eine ungewohnte Politik kompetent von unten in das autoritäre System einbrachten. Wir forderten zum Beispiel eine spezifische Bergbauernforschung. Dies wurde von der Regierung realisiert mit der bekannten Bundesanstalt für Bergbauernfragen. Wir arbeiteten eng mit kritischer Wissenschaft zusammen, und das entwickelte sich weiter zu einer engen, produktiven Kooperation auch mit der Raumplanungsabteilung des Bundeskanzleramtes. Kreisky selber entdeckte das Potential der ÖBV-Bauern für Innovation am Land. Er empfing die Bauerngruppe mindestens einmal im Jahr in seinem Büro und kooperierte mit uns. Einmal betrachtete er die breitgearbeiteten Hände der anwesenden Bauern und fragte: „Wo habt denn ihr euer reichhaltiges Wissen her?“ – „Von der ÖBV“, antwortete Hans Gahleitner schlagfertig und zeigte seine breitgearbeiteten Hände. Eine sehr tiefe Symbolik: Der kluge Kopf und die fleißigen Hände. Aus dieser Zusammenarbeit Bauern-Wissenschaft-Kanzleramt entstand die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Regionalentwicklung (ÖAR). In der Folge entwickelten sich viele Projekte mit Förderung des Bundeskanzleramtes. Die ersten Organisatoren waren: Adolf Kohlbacher (BK-Amt), Günther Scheer, Wien, Sepp Amerstorfer, Bauer, Toni Rohrmoser[1] und AdolfKastner im Waldviertel und Richard Hummelbrunner aus Graz. Ab den 1980er-Jahren bildete sich in der ÖBV eine kritische Bäuerinnen- und Frauengruppe heraus. Es begann mit der Durchsetzung einer bundesweiten Rente für Bäuerinnen, die es immer noch nicht gab. Sie hatten mit ihrer Ausdauer anfangs der 1990er-Jahre Erfolg. Erst seither haben Bäuerinnen auch eine eigene Pension. Diese Gruppe stieg dann noch tiefer in das Frauenthema ein und arbeitete am zentralen Punkt der Selbstermächtigung der Frauen. Das berührt die Jahrhunderte alte Unterdrückung der Eigenständigkeit der Frauen und ist ein großes Thema. Sieht man sich die geschichtliche Lage genauer an, dann kommt man zum Punkt, dass für diese Grundfrage einfach bis dahin die Zeit gar nicht reif war, um in diese Tiefen zu gehen und daran zu arbeiten. Es brauchte den inzwischen sieben Jahre alten Bewusstseinsstand der ÖBV als Rahmenbedingung. In den zwei Weltkriegen und in der Nachkriegszeit nach 1945 gab es keinen Rahmen für eigenständige Entwicklung der Frauen. Erst ab 1919 durften die Frauen überhaupt an Wahlen teilnehmen. Mein Rückzug Im Jahr 1980 – ich war nach sieben Jahren als Geschäftsführer der ÖBV gerade am Höhepunkt meiner Erfahrungen, brach in unsrer ÖBV zwischen einem Teil des Vorstandes und mir als Geschäftsführer ein Konflikt aus. Ich saß damals im Zentrum einer innovativen Bewegung, die schnell wuchs und die ihre Eigendynamik entwickelte. Ich ginge zu schnell voran, hieß der Vorwurf. Im Konflikt entschied ich mich nach sieben Jahren – schmerzlich aber klar – für die Beendigung meiner ÖBV-Tätigkeit. An meine Stelle trat Ambros Pree, ein versierter Organisator. 4. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Gelungene wirtschaftliche Kooperation in der Firma Chico-Hängematten Wir haben in unserer ÖBV -Arbeit zum Beispiel unsren Bauern zugemutet, gemeinschaftliche Projekte aufzubauen. Ein solches Projekt zu machen traute ich mir nun auch zu und ich begann mit meiner Frau Hilde, aus dem Hobby Hängematten weben einen Gewerbebetrieb zu entwickeln. Wir wollten das Originalprinzip der Webform der Kaiabi-Indigenes in Brasilien, die mir eine Hängematte schenkten, beibehalten. Dazu gab es aber nirgends ein Websystem, mit dem man eine Hängematte mit bezahlbarer Zeit produzieren konnte. Wir brauchten in unserer bisherigen Hobbyerzeugung noch sieben Stunden für eine Matte. Das musste mit Entwicklung der Webtechnik auf zwei Stunden reduziert werden. Außerdem brauchte es ein Vermarktungskonzept. Ich war bereits in meiner Jugend ein leidenschaftlicher Maschinenbauer. Also begann ich im Keller des selbst erbauten Hauses in Eugendorf ein leistungsfähiges Websystem zu entwickeln und brauchte dazu drei Jahre, aber es gelang. Parallel dazu hatten wir schon Hängematten gewoben und verkauft und bauten uns auf verschiedenen Direktverkaufsmessen unser Marketing auf. Wir fanden dabei auch Händler, die unsere Sachen verkauften. Über den Direktverkauf an die Kunden auf Messen erhielten wir die nötigen Informationen für die Weiterentwicklung und Ausreifung unserer Angebote und neuer Produkte. So entstand bald die Doppelhängematte und Holzgestelle zum Aufhängen der Matten in den Gärten. Nach drei Jahren war unser Keller zu klein Nach drei Jahren wurde der Raum im Keller des Wohnhauses in Eugendorf zu klein und wir suchten nun einen Partner mit Grundflächen, der diese in das Projekt einbringen würde. Wir fanden den Partner in der Herkunftsfamilie meiner Frau, ihrem Bruder mit Bauernhof Franz Katzlinger und seiner Frau Rosi aus der Gemeinde Öpping bei Rohrbach im Mühlviertel. Der Schwager Franz hatte viel Raum und viel Talent für so eine Aufgabe. Zunächst begann er als gelernter Zimmerer mit der Herstellung der Hängematten-Holzgestelle, und seine Frau Rosi begann an einem Webstuhl Hängematten zu weben. Nach einem Jahr gründeten wir 1985 die Chico Hängematten-GmbH. Meine Frau Hilde wurde Geschäftsführerin, Schwager Franz wurde Prokurist und Betriebsleiter. Die Geschäftsführung blieb in Eugendorf, so konnte Hilde die Kinderbetreuung und die Geschäftsarbeit gut miteinander verbinden, sie hatte die Arbeit in ihrem Haus. Die beiden Geschwister verband eine sehr gute, belastbare Beziehung, was sowohl für sie selber als auch für die Firma gut war. Der Schwager hatte die Fähigkeit, in die Spuren meiner Entwicklungen einzusteigen und sie dann auszureifen. Bis dahin lag die Hauptlast der Aufbauarbeiten auf meinen Schultern, das musste aus dreiGründen geändert werden: a) Die bisher nun fünfjährige Aufbauarbeit der Firma war für mich eine spannende Sache, aber es zog mich zurück zur politischen Arbeit und diesmal zur Afrikaarbeit. b) Es begann der Neuaufbau eines Webraumes und von Werkstätten. Das konnte nur der Inhaber des Bauernhofes selber leiten. c ) Die Ehe zwischen mir und Hilde war kaputt und ich wollte eine Trennung, aber es blieben drei gemeinsame Verantwortungsbereiche: Die drei gemeinsamen Kinder Das gemeinsame Haus in Eugendorf Die gemeinsame Firma Chico-Hängematten Das alles halbwegs gut für alle zu lösen stellte für alle eine große Herausforderung dar. Wir versuchten die Kinder und die Firma aus den persönlichen Konflikten der Trennung herauszuhalten und halbwegs faire Bedingungen zu schaffen: Ich überließ Hilde und den Kindern meinen Anteil am gemeinsamen Haus in Eugendorf, blieb aber Vater für unsere gemeinsamen Kinder und behielt auch meinen Anteil in der Firma-GmbH als Gesellschafter, gab aber meinen Anteil der bisherigen Firmenführung an die beiden Geschwister ab. So konnten wir uns alle gut bewegen und dieses HVorhabe nVoraben Vorhaben ging gut auf. Ich schied im Laufe des Jahres 1986 aus der Produktion aus. Wir begannen bereits 1985 mit dem Neubau von Weberei und Werkstätten. Dabei bekamen wir auch Starthilfen für Regionalentwicklung vom Bundeskanzleramt bzw. Sozialministerium. Schwager Franz und seine Schwester Hilde entwickelten sich und die Firma in einem soliden Tempo, sie kreierten und entwickelten den Chico-Hängesessel, der zum Träger des Umsatzes wurde. Bis zum Jahr 2000 wuchs die Firma bis zu 30 Beschäftigten. Wenn wir am Ende des Jahres unsere GmbH-Gesellschafter-Versammlung abhielten ging es auch um einen heiklen Punkt – nämlich den Beschluss über die Verwendung des Jahresgewinnes: Wird etwa alles wieder in die Firma investiert – was wir jahrelang auch machten – oder wird Geld an die Gesellschafter verteilt? Unser Steuerberater bewunderte mit Respekt, dass wir in der Sache Gewinnverteilung eine positive Ausnahme waren: Fast alle Firmen zerstreiten sich erbärmlich an dieser Stelle der Verteilung und geraten sich in die Haare. Nun wird die Firma bereits einige Jahre von Sylvia und Georg, die Kinder des Schwagers, solide weitergeführt. Die Chico-Hängematten-GmbH hat in der Region Rohrbach Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gebracht. Sie hat den zwei Gründerfamilien Rohrmoser-Katzlinger sowie der Familie von Helga eine gute finanzielle Absicherung bewirkt. Die Chico-GmbH sicherte auch eine gute Ausbildung für meine drei Kinder, die ich mit Hilde habe; die Töchter Brigitte und Claudia und Sohn Martin. Für mich waren Gründung und Aufbau dieses Wirtschaftsprojektes ein Lernprozess. Die Teilhabe an der Entwicklung und der Leitung einer fairen GmbH-Firma bleibt eine unverzichtbare Schlüsselerfahrung in meinem Leben. 5. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Die fehlende Förderung von Talenten in Afrika ist unterlassene Hilfeleistung Ich hatte mich nun wieder freigemacht für Politik, dieses Mal für Entwicklungspolitik in Westafrika. Aus der Erfahrung und Praxis der Bergbauernvereinigung entstand das Konzept der Regionalentwicklung. Ich wollte nun mein Wissen darüber in Afrika ausprobieren und wir legten uns auf Kooperation mit bäuerlichen Selbsthilfegruppen in Westafrika fest. Es sollte ein Aufbau von Wertschöpfung möglich werden, indem man die Talente der Gegend sucht und sie fördert und begleitet. Wir waren am Beginn zur Gründung der EWA vier Personen: a) Hans Geißlhofer, Raumplaner mit bereits 16 Jahren Afrikaerfahrung. Er spricht perfekt französisch und ist ein guter Sahelexperte. b) Leo Stelzer, Techniker, Maschinenbauer c) Franz Hinterplatter, Techniker und Maschinenbauer als Geschäftsführer. Wir organisierten den Aufbau einer Werkstätte und bereiteten die Gründung des Vereins vor. An der Gründung beteiligten sich auch Experten wie Richard Hummelbrunner, Raumplaner aus Graz, Raimund Hörburger, Soziologe aus Linz, und Hans Lindenbaum, Journalist aus Salzburg, die sich alle drei in den Vorstand wählen ließen. Unser Programm begann 1987 und wir mussten wegen Differenzen mit der staatlichen Entwicklungshilfe 1989, als bereits erste Erfolge sichtbar wurden, wieder schließen. Wir konnten aber nach Klärungen 1992 noch einmal starten. Ein leitender Beamter unserer Entwicklungshilfe sagte, ländliche Regionalentwicklung sei zu komplex, und eine Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen war ihnen auch zu schwierig. Die gesuchten Talente werden beraten und geschult, Existenzmöglichkeiten auszuloten und Wertschöpfungs-Projekte zu beginnen, die weiter begleitet werden um durchzuhalten, und um eine wirtschaftliche Bewegung in Gang zu bringen. Das ist eine Arbeit in vielen kleinen Schritten, aber wir wissen, wenn man das wirklich macht, funktioniert es. Man findet Talente, die sich für Aufbau interessieren und sich dann für ihr eigenes Land einsetzen wollen. Denken wir zu Ende, dass wir bisher diese Potentiale nicht suchen und nicht fördern, ist das so krass zu definieren, dass es einem Unterlassen von Hilfeleistung gleichkommt, wenn wir uns weiter verweigern, die Potentialsuche in Afrika anzupacken. Mit den vorhandenen Potentialen eine Entwicklung in ihren Ländern selber zu beginnen ist die wichtigste Sache gegen den Hunger und letztendlich gegen die Überflutung Europas durch Wirtschaftsflüchtlinge. Unsere Grundsätze und Ideen waren: · Das technische Niveau in Regionen mit Ausbildungswerkstätten anzuheben · Der Ansatz ist, auf den bereits vorhandenen Selbsthilfekräften in der Region anzukoppeln und darauf aufzubauen · Ein dritter Grundsatz ist, dass eine Zusammenarbeit aller Initiativen – Kleinbetriebe wie Schmiede, Handwerker etc. – angestrebt wird. Das Programm einer Regionalentwicklung soll mehrseitig sein, wie Gemüseanbau, Aufforstung, Klima spezifische Spezialkulturen und weitere · Die Selbsthilfeorganisation NAAM in Burkina Faso hat unterschieden zwischen dem Wert der Eigenleistung, (die sie selber einbringen, das nennen sie das warme Geld), und dem Geld der Förderer aus dem Norden (das nennen sie das kalte Geld.) Damit kann der Geförderte dem Förderer etwas mehr Autonomie entgegensetzen. Als außenstehender Förderer soll man auf solche Selbstverständnisse horchen, denn hier sind ihre inneren Selbststeuerungspunkte verpackt. · Es gibt ein Problem der Nachhaltigkeit: Alle Förderungen sind zu kurzfristig strukturiert. Die Prozesse der Entwicklung von Wertschöpfungskreisläufen sind langsam. Eine Region wirklich zu einer eigenständigen Form zu begleiten und den Lebensstandard deutlich zu heben dauert 20 Jahre. Man muss also im Norden so langfristige Förderstrukturen entwickeln. Weil die Förderungen nicht langfristig sind, funktionieren so wenige Projekte. Fazit: Die EWA- Salzburg begann im Jahr 1987 mit der Installation von regionalen Werkstäten für regionale Potentialsuche im Land Senegal und wir lieferten bis 1989 sieben Container, gefüllt mit je einer kompletten Werkstatt. Von den sieben Containern gingen vier nach Senegal, eine nach Guinea Bissau und zwei nach Burkina Faso. Einfach zur Diskussion gestellt: Welche Einrichtungen wären für Projekte in Afrika wesentlich? (für ein Programm der EU) Ich nenne hier einige Punkte, die als eine Art Infrastruktur für Programme der Regionalentwicklung wesentlich wären 1. Man müsste gebietsweise Bauernuniversitäten errichten Für zusammengehörende Regionen sollte ein Zentrum für Ernährungssicherung in Form einer Bauernuniversität aufgebaut werden. Es sollten Sammel- und Reflexionsstellen für umfassendes Ernährungswissen mit kritischer Reflexion sein über trockenbeständige Pflanzen, Sorten, Samen, Tiere, Arten und die entsprechenden Techniken, zum Beispiel: Welche Pflanzen wachsen mit wenig Wasser? Solche und weitere Fragen sollten hier bearbeitet werden. Dieses gesammelte regionale Wissen würde zusammengefügt mit dem allgemeinen, internationalen Wissen der Wissenschaft. Zusammen bildet das eine solide Grundlage für die Lehre auf dieser Universität. Es geht um die nachhaltige Bildung von Zentren, in denen umfassend und gründlich an der Ernährungsgrundlage der Region gearbeitet wird. Solche Bauernuniversitäten werden – wenn ihr Nutzen erkannt wird – unverzichtbar sein. 2. Es müssen spezielle ‚Ökonomen‘ für regionale Wirtschaftskreisläufe ausgebildet werden. Sie müssen in der Lage sein, regionale Wertschöpfungsketten mit mangelhaften Ressourcen aufzubauen und beratend zu begleiten. Das geschieht in gemeinschaftlichen Strukturen. Da braucht es einen eigenen Lehrbereich dazu. 3. Es braucht auch regionale Technikzentren, die angepasste Techniken vor Ort entwickeln und erhalten. 4. Organisationsentwicklung betreiben. Dabei geht es um parallele Entwicklung von angepassten, antikorrupten Strukturen, die die Entwicklungen tragen können. Bestehende Strukturen sind oft korrumpiert. Wäre eine solche Infrastruktur in Regionen Afrikas vorhanden, dann gäbe es viel mehr nachhaltige Entwicklung und Beschäftigung in Afrika. EWS musste im dritten Jahr ihre Tore schließen. 1977 wurde mit dem Außenministerium eine jährliche Grundfinanzierung mit einer Million Schillinge vereinbart. Diese wurde im dritten Jahr zurückgehalten. Wir mussten unsere Entwicklungswerkstatt wieder zusperren und die Mitarbeiter/innen entlassen. Der wichtigste Finanzpartner, die staatliche Entwicklungshilfe, war somit ausgeschieden. Wir hingen nun in der Luft und mussten unsere eigene Werkstatt, die wir 1987 in Oberalm bei Hallein mieteten, wieder kündigen. Richtige Enttäuschung wurde bei den Partnern in Afrika sichtbar, zum Beispiel der Präsident Famarah Dhiedhiou von der FONGS der senegalesischen Bauernorganisation hatte mitgedacht bei der Gründung der EWS. Er war sehr froh und dankbar darüber, dass wir von der EWA das Konzept der Kooperation mit Selbsthilfeorganisationen nicht nur besprochen, sondern auch verstanden und begonnen haben. Diese Selbsthilfeorganisationen, die es in den1980/90er-Jahren gab, gibt es so nicht mehr. Die Politik hat hier ein riesiges Versäumnis zu verantworten. Diese Zeit der Wachheit der Selbsthilfe wäre eine Zeit der fruchtbarsten Zusammenarbeit Nord-Süd gewesen. Ich hatte damals, als uns die Finanzierung 1989 abgedreht wurde, ein Beschwerdeschreiben an Außenminister Alois Mock gerichtet – welches mir mein Freund, Schreibprofi und Friedensforscher Rainer Steinweg aus Linz verfasste. Damals fanden gerade Nationalratswahlen statt und die ÖVP hatte dabei mit Josef Riegler schwer verloren. Bei der Nachbearbeitung und Ursachensuche war mein Schreiben an Alois Mock plötzlich ein wichtiges Thema und mein Papier stand im Mittelpunkt sowohl bei der ÖVP- als auch bei der SPÖ-Spitze. Alois Mock wurde wegen dem Fallenlassen unserer Afrikahilfe kritisiert. Man verlegte die Abteilung Entwicklungshilfe vom bisherigen Außenamt in das Bundeskanzleramt zum Kanzler Franz Vranitzky und dieser setzte den ehemaligen Botschafter und Senegalkenner Peter Jankowitsch als Staatsekretär ein, um u.a. die Entwicklungshilfe zu leiten. Der unerwartete Neuanfang mit der Entwicklungswerkstatt Austria EWA Unsere beendete Afrikahilfe wurde also vorübergehend zu einem politischen Faktor. Ich erhielt im März 1991 nichtsahnend einen Anruf von Staatssekretär Peter Jankowitsch. Ich sollte nach Wien zu ihm ins Außenamt kommen, er sei jetzt für die Entwicklungshilfe zuständig und wir könnten unsere Afrikahilfe wieder fortsetzen. Er sagte dazu, er hätte infolge meines Schreibens an Alois Mock und deren Folgen überhaupt erst seinen Posten bekommen. Ich machte dieses Treffen mit dem Staatssekretär und er ersuchte mich, Konzepte zu erstellen, sowohl für eine neue Entwicklungswerkstätte als auch für die ganze staatliche Entwicklungshilfe. Die zuständigen Beamten, die vor Jankowitsch‘ Einsetzung uns untergehen ließen, verhielten sich total verändert, denn meine Nähe zum Staatsekretär machte mich schlagartig mächtig. Sie waren nun überhöflich zu mir. Ich musste erst realisieren, dass ich plötzlich vorübergehend viel Macht hatte. Ich wollte in der Neugründung, die wir dann EWA-Entwicklungswerkstatt Austria statt EWS nannten, nicht mehr die Geschäfte führen. Dazu bewarb sich Rudolf Graf, der bereits eine unserer Werkstätten in Burkina Faso aufgebaut hatte. Er besaß als ehemaliger Bürgermeister der Stadt Ebensee viel Verwaltungserfahrung. Als Start der EWA vermittelte uns der Raumplaner Hans Geißlhofer beim Kanzler Vranitzky ein 30-Millionen-Schilling Umwelt-Programm-Paket im Sahel. Da hatten wir dann viel zu tun, um die entsprechenden Projekte zu organisieren. Graf tat dies in Burkina Faso, ich im Senegal. Es dauerte nicht lange, da verließ uns Staatsekretär Peter Jankowitsch wieder und ging im März 1992 nach Paris. Er konnte nicht mit Kanzler Vranitzky. Dieser holte Frau Brigitte Ederer als Staatssekretärin und sie übergab allen Einfluss der Entwicklungshilfe wieder komplett an die früheren Beamten zurück. Und so war auch mein vorübergehender Einfluss auf die Politik und die Beamten in Wien mit einem Strich komplett weg. Es wurde nun noch schlimmer, denn von deren Seite war auch Schadenfreude dabei. Unser Programmansatz der Selbsthilfeförderung wurde wieder abgelehnt. Ich gab dann nach drei weiteren Jahren 1995 diese Afrika-Arbeit auf. Ich wollte so nicht mehr. Rudolf Graf führte die EWA noch 20 Jahre zäh weiter, bis auch er entnervt das Handtuch warf und zusperrte. Fazit: Wenn ich diese Geschichte der Afrika-Arbeit im Gesamten ansehe merke ich, dass darin Höhen und Tiefen im Ablauf sichtbar werden. Es war jedenfalls anstrengend, aber auch sehr bereichernd, und ich bin insgesamt froh, diese Erfahrungen gemacht zu haben. Zu den Höhen zählen jene Ergebnisse, wo sich unsere Projekte bewährten. Schön fand ich auch die Freundschaft zum Kollegen Hans Geißlhofer, vor allem wenn wir im Senegal gemeinsam unterwegs waren. Auch verband mich eine Freundschaft mit dem Bauernpräsidenten Famarah. Er war eine große Persönlichkeit. Wenn der Österreichische Botschafter im Senegal auf unseren Wunsch hin die regionalen Bauernführer als Partner in der Botschaft in Dakar zu einem Festessen einlud, merkte man deutlich unsere guten Beziehungen. Für die Gäste wurde aufgekocht und man würdigte ihre Arbeit. Da fühlten sich Bauernführer geehrt und genossen eine solche Würde, die sie in dieser Rolle wohl selten erleben durften. Aber einmal habe ich mich dort für Österreich geschämt, das war eine Ausnahme. Ein neuer Mann, der frisch aus Österreich kam, hatte die Rolle als Kanzler inne (erster Sekretär des Botschafters). Dieser Mann fiel völlig aus der Rolle und reagierte rassistisch. Diese blöden Bauern haben im Haus nichts verloren, sprach er verächtlich auf Französisch mit seinem Kollegen. Der erbärmliche Mann merkte nicht, dass einer der sehr gebildeten Bauernführer namens Thierno Ba ganz in der Nähe stand und diese Entwürdigung der Bauern mithörte. Ich entschuldigte mich bei Thierno. Dieser ist nämlich ein in Paris studierter, sehr kompetenter Mann. Diese studierten Rückkehrer gelten als die besten Entwickler in Regionen. Wie sollten wir denn die Hungerprobleme der Welt lösen, wenn wir die Bauern verachten? Zu den Tiefen dieser neunjährigen Afrika-Arbeit zählt das Zusperren der EWS 1990 sowie ab 1992 die Neuauflage des Kampfes mit den Beamten im Ministerium. Beides schmerzte, denn ich hatte letztlich doch viel Herzblut in das abgewürgte Programm investiert und ich weiß, dass unser Konzept der Zusammenarbeit mit den Kräften der Selbsthilfe das richtige ist. Ich weiß auch, dass ich mich in der Sache Bauernbewegung auskenne, weil ich selber eine gründete. Jedenfalls prägten diese insgesamt neun Jahre Afrika-Arbeit stark mein Leben. Abschließend: 1989 habe ich mit meiner damaligen Partnerin Andrea Fink aus Kassel einen Videofilm über die Arbeit der EWS mit der Bauernorganisation FONGS und Präsident Famarah gemacht. Die gute Beziehung, die wir mit den Bauern im Senegal hatten, kommt dabei gut heraus. Es gibt dazu eine 15-minütige DVD. 6. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Die Ausbildung zur Konfliktforschung. Josef Krammer holte mich aus dem Stillstand infolge meiner Parkinsonkrankheit zurück und die IG-Milch hat mich 10 Jahre gefordert In der Phase Afrika-Arbeit, aber auch bereits vorher während der Arbeit in der Bergbauernvereinigung merkte ich immer mehr, dass wir uns oft in Konflikte verstricken und zum Nachteil aller Beteiligten da schwer wieder rauskommen. Ich sah, dass es auch professionelle Formen der Konfliktbearbeitung gab und beschloss, da etwas zu tun. Bei der Suche nach Fachbereichen der Konfliktarbeit stieß ich auf Frau Thea Bauriedl, die in München-Pasing so um 1989 herum ein ‚Institut für politische Psychoanalyse‘ gründete. Sie hatte vor, eine Gruppe von politisch Tätigen in Bayern und Österreich zu begleiten. Ich meldete mich zur Teilnahme. Eine Gruppe von zwölf Personen traf sich dann von 1989 bis 1999 zehn Jahre lang zwei Mal im Jahr je zwei Tage, um miteinander zu reflektieren. Das waren in Summe 20 Tage. Dabei erlebt man selber, wie entlastend es sein kann, wenn auftauchende Konflikte rechtzeitig erkannt und bearbeitet werden. Das wurde wieder zu einem Schlüsselerlebnis. Es hilft bereits ein Verständnis, dass Konflikte etwas Normales sind und zum Menschen gehören. Man lernt auch, dass wir fast alle irgendwelche unbearbeiteten seelischen Verletzungen oder Traumata mit uns herumtragen. In Situationen, in denen unsere Psyche sich daran erinnert, wiederholen sich solche Traumata. In der Realität gibt es in vielen Bauernfamilien solche versteckten Altlasten. Denn was nicht verstanden wird, wird wiederholt, heißt es in der Psychoanalyse. Das Motto einer solchen Arbeit lautet: Das Persönliche ist politisch und das Politische ist persönlich. Es geht darum, den Zusammenhang zu sehen. Allein das Sich-Einlassen auf diese Art von Reflexion ist zunächst auch für mich selber ein Vorteil. Ich begleitete seither viele Gruppen mit diesem Konfliktverständnis im Hintergrund. Insgesamt wurde es zu einem wichtigen Schlüsselbereich in meinem Leben. Meine Parkinsonerkrankung greift massiv ein Es war im Jahr 2007 im Sommer, als ich plötzlich eine neue Art von Schwindel, Sturzgefahr und eine Art Zittern im rechten Fuß verspürte. Als es wiederholt kam, ging ich zur Neurologin, diese schickte mich zur Untersuchung in die Klinik. Ich musste in eine Röhre und das Ergebnis lautete: ich hatte Parkinson. Ich war zu dieser Zeit 64 Jahre alt und gerade am Beginn meiner Pension. Kurze Zeit vorher, nach dem Tod meiner zweiten Frau, ging ich in eine Beziehung mit einer zweifach ausgebildeten Ärztin. Sie war Allgemein-Ärztin und hatte dazu noch eine umfangreiche Ausbildung in Naturheilkunde gemacht. Ich war sozusagen gut aufgehoben. Trotzdem ging zunächst meine Krankheit gnadenlos an mich ran. Es wurde erst wieder besser, als ich Parkinson in mir zu akzeptieren und zu integrieren lernte. Die Krankheit muss man gleichzeitig als unheilbar präsent annehmen und mit Körperübungen und viel Sich-in-der-Natur-Bewegen der Verkrampfung entgegenhalten, einschließlich viel geistiger Übung wie lesen und schreiben. Ich habe dabei aber doch relativ bald für mich sehr wichtige Fähigkeiten wie Schreiben am PC mit Führung der Maus verloren. Vor allem rechtsseitig war ich sehr zittrig. Ich musste das Arbeiten am PC vorläufig aufgeben. Aber da kam 2010 mein Freud Josef Krammer mit dem hinreißenden Vorschlag, mich an der Neuauflage seiner geschätzten Doktorarbeit von 1972 im ProMedia-Verlag neu aufzulegen. Ich sollte in 30 Seiten darin unsere Agrarpolitik beschreiben. Josef Krammer hat immer an Fähigkeiten in mir geglaubt, also war das ein überlegter, mich achtender Vorschlag. Ich wusste zu dem Zeitpunkt wirklich nicht, ob das geht und musste zunächst dieses chancenreiche Projekt ablehnen. Da reiste ich mit meiner Partnerin, der Ärztin Edith Miczka von Bad Endorf am Chiemsee, zu Josef Krammer und seiner Partnerin Sybille in die Weststeiermark. Als wir dort dann alle vier zur Abendjause am alten geschichtsreichen Bauerntisch saßen, wurde meine Abwehr von allen drei Anwesenden – von Josef, Edith und Sybille – bearbeitet, bis ich eingekocht war und meine Abwehr überwand. Das war vor rund zwölf Jahren. Da sieht man, was gute Freunde wert sind. Gemessen an dem, was ich in diesen zehn Jahren zusätzlich zum Buchbeitrag noch alles machen konnte, war dieses Bearbeiten meiner Abwehr ein wichtiger Schritt und blieb als Schlüsselerlebnis in Erinnerung. Der Beitrag zum „Der Kampf um ihre Rechte, Geschichte der Bauern und Bäuerinnen in Österreich“ wurde ein Erfolg und das Buch erschien 2012. Wir machten dann gemeinsam eine erfolgreiche Vorlesungsserie durch einige Bundesländer und die erste Buchpräsentation in Wien auf der BOKU organisierte die Bergbauernvereinigung ÖBV-Via Campesino. IG-Milch: Es entstand eine nachhaltige Zusammenarbeit Zu dieser ersten Buchvorstellung mit Josef Krammer kamen auch Ewald Grünzweil und Ernst Halbmayr, die führenden Köpfe der IG-Milch. Ich hatte nämlich die IG-Milch im Buch als eine seltene Organisation beschrieben, bei der Bauern sich von sich aus auf den Weg machten, um ihre Interessen selber zu vertreten. Das bildete den Anlass ihres Kommens und ich wurde dann zu ihren Versammlungen eingeladen. So entstand eine gute Zusammenarbeit. Wir packten die für Bauern bisher schwierigen Fragen an – das sind Punkte, den Wachstumsdrang und -wahn betreffend, wie etwa ein Stopp des ‚Immer mehr, immer grösser‘- Werdens. Also ein freiwilliges Zurückgehen von der nicht tier- und standortgerechten Hochleistung. Oder ein freiwilliges Reduzieren von Übermengen. Ein solches Zurücknehmen selber zu diskutieren ist nicht geübt und ist schwer, aber umso wichtiger. Wir gingen gemeinsam in eine Reflexion der nicht verarbeiteten Geschichte der ländlichen Bevölkerung ab 1848, wir untersuchten auch gründlich den Verlust der Selbsthilfeförderung bei Raiffeisen und einiges mehr. Ein Punkt, der immer wichtiger wurde, ist das Noch-vorhanden-Sein der Untertänigkeit des Großteils der Bauern: Die 1000-jährige Leibeigenschaft wurde zwar 1848 formal aufgelöst, aber nie bearbeitet. Dazu im nächsten Abschnitt mehr. Dieser beständige Austausch hat auch meine Arbeitsfähigkeit trotz Parkinson im Alter von über 7o Jahren erhalten und es sind auch persönliche Freundschaften bei der IG-Milch entstanden. Jedenfalls ‚Danke‘ für das Vertrauen. 7. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Das Untertansystem als Erbe vom Gottesgnadentum hat unsere Bauernwelt noch fest im Griff Selten hat mich ein System so stark erfasst und beschäftigt in letzter Zeit wie das Gottesgnadentum. Im Buch der Soziologin Inge Zelinka Der autoritäre Sozialstaat, Machtgewinn durch Mitgefühl in der Genese staatlicher Fürsorge[2] fand ich ihre Analysen um die Zeit von 1900, in dem sie das Denken des vom Adel abstammenden Karl von Vogelsang beschrieb. Er gilt als der geistige Begründer der Christlich-Sozialen Partei, die ab 1945 zur ÖVP wurde. Karl Vogelsang war noch 1900 ein Verfechter des Untertanenwesens bei den Menschen am Land mit Verhinderung der Aufklärung, weil die obere Schicht große Angst vor Aufklärung mit Aufruhr der Bevölkerung, wie es bereits bei den Sozialdemokraten sichtbar wurde, hatte. Vogelsang war ein Verfechter der caritativen Hilfe, aber die Strukturen wollte er einfrieren. Er definierte das Gottesgnadentum so: „ Gott will, dass der Herrscher Herrscher ist und dass der Untertan Untertan bleibt und das soll sich auch nicht ändern.“ Das ist eine mit Gottes Willen begründete Herrschaftsordnung. Es entstand ein über 1000 Jahre eingeübtes Herrscher/ Untertan-System, in dem die höchste, übergeordnete Autorität, nämlich Gott, zur eigenen Machterhaltung benutzt und verwendet wird. Schlimmer geht’s nimmer. Wir haben hier die Grundform des Benutzerwesens vor uns. Wer Gott als die höchste Autorität zum Unfug benutzt, der hat keine Skrupel, der benutzt auch die Mitmenschen beliebig wie Dinge oder lässt sich selber wie ein Ding benutzen. Und das soll alles von Gottes Gnade abgesegnet werden. Dazu kommt noch der zweite Hammer, nämlich, dass diese Regelung immer so bleiben muss. Hier wird Gott auch dazu verwendet, jede Hoffnung auf eine Veränderung von vorne herein zu zerstören. Mit dem Benutzen von Gott wird das Benutzen der Untertanen mitlegitimiert und das verursacht ein Sich-benutzen-Lassen oder das Benutzen anderer Gruppen, die sozial noch weiter unten stehen. Wir haben im Abschnitt 3. Erlebnis gesehen, dass es den Mechanismus des Vorschiebens der Glaubwürdigen zur Geldbeschaffung – welches dann andere abzocken – gibt. Hier haben wir den Ursprung des Benutzens dazu. Wir sehen damit deutlich, dass dieses uralte System weiterlebt. Ich nenne ihn folgend kurz ‚UNTERTANSYSTEM‘. Wenig Eigenständigkeit bei Bauern Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit drei IG-Milch-Verantwortlichen, Ewald Grünzweil, Ernst Halbmayr und Erwin Thumfart. Drei Bauern, die viel Mut bewiesen haben. Sie erleben aber laufend, wie wenig Selbstständigkeit bei Bauern allgemein vorhanden ist. Sehr wenige getrauen sich, wenn ihre Rechte verletzt werden, ihrer Agrarführung, ihrer Molkerei, oder einer Handelskette entgegenzutreten und Widerstand zu leisten. Ernst Halbmayr sagt: „Die Unterwerfung ist in unserer Bauernschaft aus der Geschichte kommend heute noch voll da. Sie wurde in der 1000-jährigen Geschichte der Grundherrschaft geübt.“ Das Untertanen- System wurde zum GEN, also zur genetischen Veranlagung. Er verweist auf die Trauma-Geschichte aus dem Mittelalter von Josef Krammer[3], wo ein Bauer in Admont aus dem früheren Gemeinwald, den sich aber die Fürsten aneigneten, und aus dem enteigneten Gemein-Wald verbotener Weise weiter Holz entnahm. Dem Bauern wurde zur abschreckenden Strafe die Handabgehackt. Hier werden die Brutalität eines einzelnen Fürsten und der Druck auf Bauern sichtbar. Oder nehmen wir das enorme kollektive Trauma der unverhältnismäßigen Niederschlagung der Bauernaufstände durch das überlegene, kaiserliche Heer um 1626, wo in Oberösterreich 12.000 Menschen auf einem Schlachtfeld starben und tausende verletzt wurden. Setzt man hier den zweiten Satz vom Gottesgnadentum „…und das soll sich auch nicht ändern…“ dazu, dann wird die Ausweglosigkeit, die die Menschen hatten, direkt spürbar, und diese Ausweglosigkeit ist für sich wieder ein eigenes Trauma.Beide Beispiele zeigen, wie gnadenlos mit aufständischen Untertanen umgegangen wurde. Das traumatisiert nicht nur einzelne, sondern wird zur kollektiven Depression der betroffenen Untertanen. Ich war schockiert über Christdemokratische Bildungsverweigerung Der Aufruf zur Untertänigkeit reicht noch weit in das 20. Jahrhundert herein. Das schockierte mich als einen, der immer für Aufklärung der Leute am Land eintrat. Dieses Festhalten am Untertanensystem ging ja einher mit gleichzeitiger Bildungsverweigerung (Pelinka) an diese Menschen. Dem Landvolk wurde bis weit in die Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts die Bildung verweigert, sie erhielten etwa keine Aufklärung über die Abschaffung des Untertanenwesens, oder über die Einführung des Gleichheitsgrundsatzes in der Volksvertretung (alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich), die bereits in der Dezemberverfassung 1867 im Reichstag der Monarchie beschlossen wurde. Die grundsätzlichen Veränderungen hat man dem Volk am Land nicht erklärt. Dieser Übergang vom Untertanensystem zur selbstständigen Person und zur Demokratie ist eine sehr grundsätzliche, tief in die Persönlichkeit eingreifende Veränderung, das bedeutet formal vom antidemokratischen Klassensystem zur Demokratie mit dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, ein Wechsel von der Barbarei zu den Menschenrechten und von Fremdsteuerung zur Selbststeuerung. Es liegt wohl auf der Hand, dass so erheblich große Veränderungen nicht ohne Aufklärung und ohne begleitende Unterstützung gehen. Genau das hat man aber den Menschen am Land verweigert. Im Gegenteil, man hat mit dem Untertanensystem weitergemacht und das blieb im Kern über die beiden Weltkriege bis in die 1950er-Jahre erhalten. Hauptgrund war die große Angst, dass mit Aufklärung ein Aufstand der einfachen Bevölkerung entstehen würde, so wie es 1900 bei den Sozialdemokraten sichtbar war. Die machten Aufklärung. Eine so beharrliche Verweigerung der Aufklärung und der Bildung wird auf Grund von Aussichtslosigkeit selber zu einem Trauma. Erst 1958 hat die Österreichische Bischofskonferenz die Katholische Sozialakademie gegründet, die allein durch ihre Existenz eine Wende bedeutete. Diese begann mit professioneller Aufklärung. Diskussion um Weitergabe von Traumata Wissenschafter befassen sich mit der Weitergabe von Traumata über mehrere Generationen. Das nennt man ‚transgenerative Weitergabe‘. Zitat: …die dabei auftretenden Traumatisierungen schicksalhaft in der Psyche der nachfolgenden Generationen zu implantieren. Wo die Aufarbeitung nicht oder nur unvollständig gelingt, wird die Gefühlserbschaft zur Last auch noch für die Enkel/innen und Urenkel/innen. [4] Traumata leben so lange, bis sie bearbeitet werden. Wenn wir die Nachwirkungen von Traumata in drei Generationen annehmen, müssen wir uns jene ansehen, die in den letzten 100 Jahren, also bis zurück um 1900, passierten. Dazu ein Beispiel: Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es ein großes Bauernsterben, weil der Reichstag in den 1860er-Jahren das Erbgesetz von Grund und Boden liberalisierte. Der Boden konnte ab dem Zeitpunkt gekauft/verkauft werden. Da wurden viele, viele kleinere Höfe in ihrer Not von Kapitalkräftigen aufgekauft. Das war die Zeit, in der Peter Rosegger den Roman ‚Jakob der Letzte‘ schrieb. Diese Verluste muss man als traumareich sehen. Fazit: Allein dieser Punkt eröffnet uns den Einblick in das Leben dieser letzten Generationen. Eine Zeit, die als ‚Bauernlegen‘ bezeichnet wird. (Letztes Drittel des 19. und erster Teil des 20. Jahrhunderts, Josef Krammer.) Diese Traumata führen zunächst zu einer weiteren Schwächung von Widerstands-Fähigkeiten, bis oft nichts mehr an Eigenständigkeit da ist. Es ist ein Zustand totaler einseitiger Abhängigkeit. In dieser Lage sind Menschen ihren Herrn auch für Schläge noch dankbar, weil er sie damit zumindest noch wahrnimmt. Die Bauernführung ist im Untertan-Mechanismus gespalten Die Form, wie Franz Stummer mir 1973 die Bauernführung erklärte, gibt uns einen tiefen Einblick in einen versteckten Herrscher/Untertan-Mechanismus in unserer Agrarpolitik. Unsere Bauern-Führung ist aus Vertretern aus Kammer, Bauernbund und Raiffeisen zusammengesetzt. Sie zeigt sich nach außen als eine Einheit, sie hat aber, seit ich sie kenne, eine verdeckte, innere Spaltung – in eine große Gruppe der vorgeschobenen glaubwürdigen Bauern auf einer Seite, und auf der anderen Seite die Minderheit der vorschiebenden Abzocker. Diese Leitung hat die erstaunliche Fähigkeit, diesen Mechanismus – den ich nun seit 50 Jahren kenne, inklusive den Abzockern streng geheim zu halten. Wir sehen hier wieder den Untertan-Mechanismus mit Spaltung der Gruppe, die von Gottes Gnade geschützt werden soll. Das normale Bauernbund-Mitglied im Dorf weiß zumindest offiziell nicht, dass sich in ihrer Organisation Abzocker befinden. Hohe innere Verpflichtung der Mitglieder des Bauernbundes Stummer ist 1973 wegen der Gründung der Bergbauernvereinigung bei seinen Chefs der Bauernführung in Ungnade geraten. Ich erinnere mich, dass er trotz Telefonterrors seines Bauernbunddirektors und trotz des Verlustes seines begehrenswerten Postens in der PRÄKO dem Bauernbund die totale Treue hielt. Was ist nun das Phänomen hinter dieser totalen Treue, die es massenhaft bei den Bauernfamilien gibt? Die Antwort auf das Rätsel liegt sehr wahrscheinlich in der Klärung einer außergewöhnlichen, zwanghaften Verpflichtung, verbunden mit unverarbeiteter Abhängigkeit und Angst, etwa: Wenn eine einseitige Abhängigkeit über lange Zeit sehr groß ist, kommt es zu einer Schwächung und Angst. Der Ängstliche sucht Zuwendung und Zugehörigkeit in der Gruppe, selbst dann noch, wenn er von dieser gequält wird. In der Not wird aus gesunder Auflehnung ein krankes unterwürfiges Kriechen und Betteln, um ein wenig Anerkennung von ihrem Herrn zu erhaschen. Das ist eine unterwürfige Identifikation mit dem Aggressor. Nun erweitert sich das kranke Verhältnis. Aus dem Widerstand der Untertanen wird eine freiwillige, innere Verpflichtung, das zu tun, was ihr Herr will, zum Beispiel ihn wieder zu wählen. Das ist ein Zeichen der Aufgabe des Widerstandes, weil das seelisch leichter zu ertragen ist als dauernd in einer Konfliktspannung zu stehen. Jetzt unterdrücken sich die Menschen selber im Interesse ihrer Herrn. Eine solche Art von innerer Verpflichtung ist nach meiner Analyse der Hintergrund des Rätsels, wenn Bauern ihre Verräter immer wieder wählen. Hier noch eine Bemerkung zur aktuellen Situation der Bauernfamilien: Unsere Agrarpolitik ist völlig geschäftsorientiert. Wer viel kauft, ist im Trend. Aber die zweite Seite ist die Überschuldung, in der bereits viele Höfe drinnen stecken. Mit der Schuldenlast auf den Schultern wird der Landwirt oft wieder zum untertänigen Bittsteller, der gebückt beim Herrn Bauernvertreter um Geld ansucht. Analyse zur Aufarbeitung des Gottesgnadentums „Es ist Gottes Wille, dass der Herrscher Herrscher ist und der Untertan Untertan …“ Diese Verwendung von Gott (oder vom Gottesbild) zum Beschützer und Legitimierer einer Minderheit von Herrschern dauerte über 1000 Jahre, und das dabei über lange Zeit gelernte Untertanentum ist hartnäckig bis heute stark vorhanden und müsste dringend bearbeitet werden. Eine selbstkritische Analyse der Kirche über ihre eigene Rolle in der Geschichte des Gottesgnadentums und eine anschließende öffentliche Diskussion darüber wäre für das politische Bewusstsein der ländlichen Bevölkerung von großer Bedeutung. Wo aus heutiger Sicht Fehlhaltungen im Sinne der Menschenrechte bei den Untertanen passierten, sollte sich die Kirche nachträglich davon distanzieren. Das Ziel wäre es: Eine selbstkritische, aufklärende Reflexion als Institution, aber auch als Personen, über das gottesgnadentum zu führen. Es sollte reflektiert werden, dass Gott zur Rechtfertigung von Macht über Menschen verwendet wurde. Und das Verwenden anderer Menschen und das Sich-verwenden-Lassenist überall gegenwärtig und zerstört die Beziehungen. Es sollte möglich werden, alte Traumata, die heute noch nachwirken, aufzuspüren und aufzuklären, um sie zu verstehen. Was verstanden wird, muss sich nicht mehr wiederholen. Eine so ernsthaft geführte Reflexion über das Gottesgnadentum könnte durch ein Sich-Distanzieren der Kirche von Unrecht abgeschlossen werden. Ein Beispiel einer Distanzierung der Kirche nach einer geschichtlichen Fehlentwicklung vollzog die Kirche in Brasilien um die Jahrtausendwende (2000 – 2003) anlässlich der 500-Jahr-Feiern von Christoph Kolumbus. Die Kirche drückte ihr Bedauern aus über Gewalt in den Beziehungen bei der Christianisierung mit fehlender Achtung gegenüber der Religion der Einheimischen. Die Kirche distanzierte sich von unsensiblen Formen der Glaubenslehre mit fehlender Achtung der vorhandenen Kulturen in der 500-jährigen Geschichte. Das schaffte Würde bei den Betroffenen Indigenes. Abschließender Dank: Viele Menschen sind mit mir gemeinsam ein Stück des Weges gegangen. Allen, die mich im Leben begleiteten, dabei ein Stück des Weges mit mir gingen, möchte ich danke sagen. Mit der Aufzeichnung der sieben Erlebnisse kann ich mich in den einzelnen Punkten selber anschauen, und wenn jemand anderer mein Leben mit Hilfe dieser Aufzeichnungen anschauen will, ist es eine Ehre für mich, und wer will, kann dann mit mir darüber reden. Ich freue mich auf Gespräche darüber. [1] Toni hat nach seinem Einsatz in Brasilien Pädagogik und Politologie fertigstudiert und mit Doktortitel abgeschlossen. Wir trafen uns bei der Arbeit wieder bei der Regionalentwicklung und er befasste sich viel mit dem Brasilianischen Volkspädagogen Paulo Freire [2] veröffentlicht im LIT Verlag Wien 2005, ISBN 3-8258-8448-1 [3] Josef Krammer, Geschichte der Bauern, 1972 [4] Angela Moré: Journal für Psychologie |
Welche Erlebnisse/ Ereignisse
waren es, die mich am meisten bewegten und mein Leben beeinflussten?
Bei der Suche komme ich auf sieben.
1. Schlüssel&Erlebnis
Eine Selbstschädigung bei Pilgern in Fatima löste in mir eine Revolution aus
2. Schlüssel&Erlebnis
Betroffenenbeteiligung in Brasilien gelernt: Umstellung vom Belehrenden zum Lernenden und meinLernprojekt in Salzburg
3. Schlüssel&Erlebnis
Die deftige Einführung von Franz Stummer in die Bauernpolitik
4. Schlüssel&Erlebnis
Gelungene wirtschaftliche Kooperation in der Firma Chico Hängematten
5. Schlüssel&Erlebnis
Fehlende Förderung von Talenten in Afrika ist unterlassene Hilfeleistung
Die Ausbildung zur Konfliktforschung.Josef Krammer holte mich aus dem Stillstand meiner Parkinsonkrankheit zurück und die IG-Milch hat mich dann zehn Jahre gefordert
Das Untertansystem als Erbe vom Gottesgnadentum hat unsere Bauernwelt noch fest im Griff
Einleitung
Meine ersten 22 Lebensjahre war ich auf dem elterlichen Bauernhof in der Landwirtschaft und auf mehreren Bauernhöfen als Handwerker tätig. Mein Hobby war es, selber Maschinen zu bauen – Kreissägen, Hobelmaschinen. Bereits in jungen Jahren war ich sozial aufgeweckt und interessiert. Wie ein Soziologe beobachtete ich die sozialen Verhältnisse und schaute mir zum Beispiel Armenviertel in Städten an. Deshalb meldete ich mich mit 23 Jahren bei der Entwicklungshilfeorganisation ÖED als Kandidat an. Mein jüngerer Bruder Anton, kurz Toni, wollte auch einen Einsatz machen und ging mit mir.
Im Zuge eines Vorbereitungskurses in Westfalen wurde uns ein Projekt für vier Leute im Bundesstaat Mato Grosso in Brasilien zugewiesen.
Angefordert waren: Ein Handwerker – das war ich; ein Landwirt – das war Toni; eine Krankenschwester – das war die Anne Außerhofer aus dem Tiroler Lechtal; eine Hauswirtschafterin – das war die Marianne Fingerlos aus dem Lungau.
Wir vier wurden vom österreichischen Jesuiten Joau (Hans) Dornstauder angefordert, der schon lange in Brasilien tätig war. Er brauchte dringend Unterstützung.
Zur Vorbereitung dieses Einsatzes gehörte ein dreimonatiges Sprachpraktikum in Portugal. Dort landete ich in ländlichem Gebiet in einer Landgemeinde namens Amendoa im Pfarrhaus des Dorfes. Die Eltern des Pfarrers hatten ein kleines Weinbauerngut in der Nähe des großen Marienwallfahrtsortes Fatima.
1. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Eine Selbstschädigung von Pilgern in Fatima. Der Blick auf die kriechenden Leute löste in mir eine Revolution aus
Bei einem Besuch in Fatima passierte Mitte September 1966 ein außerordentliches Ereignis, das mein bisheriges Leben, meine Gesinnung und meinen Glauben an Gott langsam aber nachhaltig veränderte:
Ich wanderte über den großen Platz vor der Basilika und bemerkte bei einer Kapelle eine Menge geschundener, sehr arm und gequält wirkender Menschen, die auf den bereits zerschundenen Knien betend rund um die Kapelle krochen. Mich erschauderte dieses Bild, das sich in meinem Kopf verewigte. Und ich sehe das Bild heute nach rund 50 Jahren immer noch deutlich.
Ich war als Jugendlicher bis dahin ein sehr gläubiger und frommer Mensch. Dieser Blick auf die kriechenden Leute löste in mir plötzlich viele Fragen aus:
- Wie kommt es, dass die Kirche ihren Gläubigen solche unwürdigen selbstschädigenden Aktionen zulässt oder sogar auferlegt?
- Welches Gottesbild ist hier wirksam? Wurde Gott als strafende Instanz sogar bewusst verwendet, um die kleinen Leute ruhigzustellen, dass sie sich selber quälen, um sich zu unterwerfen?
- Da tauchte noch ein anderes, bekanntes Thema in mir auf: die Sexualverbote der Kirche.
Wenn bei uns in der Berggemeinde Großarl in den 1950er-Jahren eine Frau ein Kind bekam, ging sie nachher in der Kirche zum Seitenaltar zur Abbitte und erbat sich den Segen des Priesters. War sie in Schuld geraten, weil zum Kinderkriegen auch sexuelle Liebe gehört? Also war ein sexueller Kontakt bis in die Ehe teuflisch. Diese liebesfeindliche Kirche machte dem Menschen – die alle sexuelle Wesen sind – ständig ein schlechtes Gewissen. Ich ging damals schon innerlich auf Distanz zu einer Kirche mit einem so strafenden, liebesfeindlichen Gott, der Schuld und Scham verbreitet.
Das war der nicht mehr aufzuhaltende Start zu einem Überdenken meiner bisherigen Gläubigkeit. Ich wurde zum Analytiker. Das setzte sich die nächsten 50 Jahre fort.
Eine zweite Phase der Kirchenmoral
Die zweite Reflexion erfolgte nach meiner Rückkehr aus Brasilien anfangs der
1970er-Jahre, als ich Angestellter der Kirche war. In dieser Phase beobachtete und untersuchte ich das Verhältnis der Kirche zur Moral, und zwar am Beispiel meiner Großeltern in Wagrain: Weil ihr erstes Kind noch vor der Ehe geboren wurde, mussten sie zum Bischof nach Salzburg reisen, um Abbitte zu leisten. Das bedeutete eine starke Kränkung für ihre Eltern, die stolze Leute waren, erzählte mir die Tante. Da ich damals an politscher Bewusstseinsbildung arbeitete, befasste ich mich – mit meinem Blick auf die kriechenden Leute in Fatima – mit der Frage, welche Rolle eine solcherart disziplinierende Kirchenmoral auf die Menschen politisch hatte. Dabei wurde die Selbstunterdrückung mit Schuld und Scham, in der sich die Leute selber kleiner machen als sie sind, mit Verstärkung von Hörigkeit in der Politik sichtbar. Ich persönlich wurde dabei paradoxerweise, damals als Angestellter der Kirche, immer ungläubiger.
Eine dritte Phase
der Analyse begann vor zehn Jahren. Ich begegnete in meiner Konfliktforschung dem System des mittelalterlichen Gottesgnadentums, das von 800 bis 1900, also mehr als 1000 Jahre, im Mittelalter Gültigkeit hatte. Das erinnerte mich wieder an meinen Blick auf die kriechenden Leute 1966 in Fatima. Im Buch von Inge Zelinka/Graz „ Der autoritäre Sozialstaat“ fand ich die Information zum Gottesgnadentum, und das war wieder ein Ereignis, welches mich tief erschütterte. Meine letzte Analyse dazu sieht man im kommenden Punkt 7.
Gleichzeitig begann in mir ein neuer positiver Prozess
der Reflexion über meine vor gut 50 Jahren verlorene Gläubigkeit. Anlass dazu war, dass mir der Pastoralassistent der Pfarre Kuchl, Klaus Leisinger, das Buch von Papst Franziskus LAUDATO SI schenkte und mich in den Umweltausschuss der Pfarre Kuchl integrierte. In LAUDATO CI hat Franziskus die zwei Hauptthemen unserer Zeit – das soziale Problem und das Klimaproblem – so treffend beschrieben, es fasziniert mich. Franziskus kommt von den Jesuiten Südamerikas, die mich 1969 in die neue Politik einschulten, daher ist mir sein Wesen vertraut. Also LAUDATO SI hat mich ein Stück zurückgebracht.
2. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Betroffenenbeteiligung in Brasilien gelernt. Umstellung vom Belehrenden zum Lernenden. Mein Lernprojekt in Salzburg
In unserem Projektgebiet in Mato Grosso, Brasilien, waren wir als Österreicher gut bei den Jesuiten in der Diözese Diamantino integriert. Im zweiten Jahr unseres Einsatzes kam eine Gruppe junger Fachleute von der Jesuitenausbildung aus dem Raum Sao Paulo zu uns nach Mato Grosso in den Norden. Das waren gut ausbildete, fähige Köpfe, die wie üblich neben der Theologie ein zweites Fachgebiet abschließen. Es kam ein Ethnologe, je ein Jurist, Soziologe, Biologe, und andere. Sie griffen in den korrumpierten staatlichen Indigenenschutz ein. Dabei wurden neue Wege beschritten, wobei die Achtung der ursprünglichen Kultur der Indigenen Völker und deren rechtliche Landabsicherung Priorität hatten.
Als ich und mein Bruder Toni zu Hause in Österreich vom Pfarrer verbschiedet wurden, sprach er den üblichen Satz: „…gehet hin und lehret alle Völker…“
Wir waren dann mit unserem Einsatzleiter Padre Joao Dornstauder und einigen einheimischen Indigenes in den Gewässern des südlichen Amazonasgebietes mit Motorboot zwei Wochen unterwegs, bis wir unseren Einsatzort erreichten. Dabei merkte ich, dass ich hier zuerst von den Einheimischen lernen musste, um gut im Wald zu überleben. Dabei stieg in mir die Bewunderung angesichts der Kompetenz dieser Einheimischen, die unser Boot lenkten, und geriet dabei in einen heftigen inneren Kampf mit meinem unbewussten Verständnis, dass ich als Lehrer hinfahre. Gehet hin in alle Welt und lehret…
Der Gedanke, ich sei hier der Lernende, war noch nicht genug reflektiert. Aber mit einigen Wochen innerem Kampf gelang es zum Glück doch. Diese innere Bereinigung wurde zu einer wichtigen Grundlage für weitere notwendige Lernschritte.
Ich erinnere mich an den Direktor Schmauch von der Ausbildungsstelle Klausenhof an der deutsch-holländischen Grenze, der 1966 zu mir sagte: Herr Rohrmoser, Sie sind aufgrund Ihres Einfühlvermögens sehr geeignet zur Entwicklungshilfe, aber bitte lernen Sie deutsch.
Mein Pongauer Volksschuldeutsch reichte nicht aus.
Ich hatte großes Glück, vor allem den Jesuiten Egidio Schwade, einen Mann mit strategischem Talent, näher kennenzulernen und viel von ihm zu lernen.
Er half, den Entwicklungsdienst OPAN aufzubauen. Sie wurde zu einer wichtigen Forschungs- und Klimaschutzstelle zur Erhaltung des Regenwaldes. Zwei Jahre später begann Schwade mit der Gründung des bis nach Europa bekannten Indigenenschutzes CIMI, bei der der bekannte, aus Vorarlberg stammende Bischof Erwin Kräutler lange den Vorsitz führte. Die CIMI ist jene Organisation, die mit Erfolg beim Justizministerium die staatliche Anerkennung der Grundbesitzrechte der Indigenen Völker durchführte.
Egidio Schwade erklärte mir den neuen politischen Weg der Reflexion mit den Betroffenen, um diese selber bei Problemlösungen zu beteiligen. Man nannte dieses Konzept auch die Befreiungstheologie. Dieses Konzept der Teilhabe von Betroffenen an der Problemlösung bewegte mich dazu, ein politisch aktiver Mensch zu werden. Aber meine ursprüngliche Gläubigkeit wich einer Neugierde und der Lust, die Welt genauer anzusehen.
Ich reiste im März 1970 wieder heim nach Österreich. Mein Bruder Toni und beide Frauen taten dies bereits drei Monate früher im Dezember 1969. Vorher lud der Profi Egidio Schwade anlässlich der Gründung der OPAN meinen Bruder noch nach Südbrasilien ein, zu seinem Bericht über den Einsatz für brasilianische Entwicklungshilfe. Ich musste noch unsere Nachfolger aus Österreich einführen.
Im März 1970, bevor ich per Schiff heimreiste, erlebte ich noch gemeinsam mit Egidio Schwade ein Schockereignis in Sao Paulo. Schwade nahm mich mit zu Freunden vom Dominikanerorden. Als wir ankamen, saßen seine Freunde blass und geschockt in der Wohnung und sagten: Gestern haben die Militärs unsere Kollegen abgeholt und gerade jetzt werden sie wahrscheinlich gefoltert.
Das so nahe mitzubekommen ist ein Schock. Schwade erklärte mir dann: Uns Jesuiten getrauen sie sich nicht einzusperren und zu foltern, weil unsere Oberen die Lehrer dieser folternden Militärs waren. Von den Militärs verfolgt wurden damals die Träger der Befreiungsbewegung.
Mit Schwade vereinbarte ich tags darauf, dass wir uns in Österreich wieder treffen wollten. Da fuhren wir nach Wien zur Sternsinger-Aktion. Schwade brauchte Geld für seine Aktion und hatte dabei Erfolg. Die sternsingenden Kinder Österreichs finanzierten in den letzten 50 Jahren wesentliche Teile des Indigenen Schutzes im Regenwald. Sie schützen damit die Umwelt, denn dort, wo Einheimische die Grundbesitzrechte haben, bleibt der ursprüngliche Regenwald bestehen.
Ich wurde für drei Jahre kirchlicher Angestellter über die Katholische Aktion
Während ich nun anfing, ein neues Berufsfeld auszuloten, begann Bruder Toni eine Akademiker-Ausbildung, beginnend mit der Mittelschule. Es war logischerweise ein schwerer Neuanfang für beide nach vier Jahren Abwesenheit. Ich war auch gesundheitlich angeschlagen, diverse schwere Malariaanfälle hatten mir – vor allem meiner Leber – zugesetzt. Ich musste erst mal gesund werden und wohnte daher die ersten Monate am Bauernhof bei meiner ältesten Schwester Theresia und Schwager Toni. Ich baute mit ihm den Stall neu auf und meine Schwester umsorgte mich mit guter Diätkost. Das ließ mich mit 27 Jahren neu erstarken.
In Salzburg wurde gerade ein Jugendsekretär gesucht, ich bewarb mich und wurde ab Oktober 1970 zum Angestellten der Katholischen Aktion Salzburg als Diözesansekretär für Jugend Land. Die Katholische Aktion hatte als Selbstverständnis, dass sie neue Entwicklungen als Katalysator anstoßen wollte, also etwa für Problemlösungen und neue Strukturen in der Gesellschaft tätig zu werden. Das passte genau in meine Vorstellung zur Umsetzung des in Brasilien gelernten Ansatzes der Beteiligung.
Mein Lernprojekt in Salzburg: Anstoß für Maschinenringgründungen im Land Salzburg
Kritische Menschen sahen, wie viele Bauern sich durch den Kauf von zu vielen Maschinen überschuldeten. Als Antwort darauf konnte man Maschinenringe nach der Idee von Erich Geiersberger in München in Selbstorganisation aufbauen. Raiffeisen war der größte Verkäufer von Maschinen und stand logisch der Selbstorganisation der Bauern zum Einsparen von Maschinen eher ablehnend gegenüber, das ging gegen sein Geschäft. Die Sparkasse in Österreich organisierte in der Stadt Hallein einen Vortrag mit Geiersberger, ich nahm teil und lernte einen frechen, wortgewaltigen Kämpfer für Bauernanliegen kennen. Ich ging nach dem Vortag zu Geiersberger hin und fragte, ob er mit der Katholischen Landjugend auch Referate halten würde. Gerne, sagte er, er mache mit der Katholischen Jugend in Bayern gute Erfahrungen. Der anwesende Direktor der Sparkasse aus Wien hörte das und machte mir das Angebot, für jeden einzelnen Vortrag 7.000,- Schillinge zu zahlen. Die Sparkasse wollte bei Bauern mehr Fuß fassen. Ich gewann dann das Katholische Bildungswerk in Salzburg als professionellen Mitveranstalter.
Vier Großveranstaltungen waren ein heftiger Eingriff in Salzburgs Politik
Der erste von insgesamt vier Vorträgen mit Erich Geiersberger fand bei vollem Festsaal im Heimatbezirk St. Johann im Pongau im Frühjahr 1972 statt. Dieser Fachmann sprach sehr deutlich die Konflikte der Bauern an, er sagte unter anderem:
„Die Agrarpolitik des Freistaates Bayern und die Agrarpolitik von Österreich ist Massenkorruption und Stimmfang, das liebe Stimmvieh Landvolk soll bei der Stange gehalten werden.“
Solche krassen Sätze muss man zunächst erst einmal als Veranstalter aushalten. Darauf folgten drei weitere in Mittersill, in Tamsweg und in Neumarkt am Wallersee, wo wir sogar 400 Anwesende zählten. Ich suchte nach jedem Vortrag die interessiertesten Leute heraus als Gründungsgruppe für die Maschinenringe und holte mir nach jedem Vortrag bei der ansässigen Sparkasse die 7.000,- Schillinge ab, denn das waren ungefähr auch die Kosten einer solchen Veranstaltung.
In Mittersill tagten im Nebenzimmer die Leiter der Pinzgauer Raffeisenkassen. Das war ein Zeichen, dass sie sich vor dem Mitbewerber Sparkasse fürchteten. Sie holten mich zu sich, es war ein Raum voller Kassenleiter, und sie boten mir auch Zahlungen an. Inzwischen beschwerte sich der Direktor der Salzburger Landwirtschaftskammer Daghofer beim Erzbischof über meine Unruhestiftung bei Bauern und damit war es mit der Gemütlichkeit auch vorbei. Mein zuständiger Chef in der Kirche war der Seelsorgeamtsleiter der Diözese, der meinen politischen Ansatz ohnehin ablehnte. Er bot mir als Alternative an, mit ihm einige Wochen Meditationsreise nach Rom zu unternehmen, was ich ablehnte. Er nutzte die Unsicherheit meiner Kollegen/innen, um sie auf seine Seite zu ziehen. Ich stand nun vor einer Mauer des Misstrauens. Aber die beiden Kollegen des Katholischen Bildungswerkes standen zu mir. Die Raiffeisenbanken verwiesen mich, als ich wirklich um Geld anfragte, an ihren mächtigen Chef Leobacher, der mich dann hochgrantig in seinem imposanten Büro in der Schwarzstraße in Salzburg empfing und mich barsch fragte: „Was willst?“, worauf ich sagte: „Geld für Referenten bei Trainings-Seminaren zur Gründung von Maschinenringen.“ Er füllte zornig einen Scheck über 7.000- Schillinge aus, streckte ihn mir her und sagte, ich solle sein Büro verlassen. Er warf mich also hinaus. Es blieben 7.000,- Schillinge für Seminare und ein sehr gespanntes Verhältnis zu Raiffeisen.
Das war mein Eingriff in die Salzburger Politik und meine erste Erfahrung mit Raiffeisen.
Im Land Salzburg wurde in jedem der fünf Bezirke ein Maschinenring von Bauern selbst aufgebaut, ich organisierte noch Seminare für Aufbauhilfe der zu bildenden Vorstände.
Dieser Eingriff war für mich ein Probelauf, aber es prägte mich, ich spürte, es würde noch Größeres auf mich zukommen.
Bemerkung: Ich habe kein einziges Mal von den Maschinenringen gehört oder gelesen, dass es mein Einschreiten überhaupt gab.
Das musste verschwiegen werden.
Macht durch Fürsorge
Raiffeisen übernahm dann bei allen fünf Maschinenringen die Kosten eines Geschäftsführers. Diese Gehälter von fünf Managern, deren Einwirkung den Maschinenverkauf senken sollte, bedeuteten hohe Kosten pro Jahr und dazu minderten sie auch noch das Geschäft beim Maschinenverkauf. Raffeisen zeigte damit, dass die Bauern zu ihnen gehörten und nicht zur Sparkasse. Es wurde auch sichtbar, dass Raiffeisen die Politik bestimmte und nicht, wie man meinte, die Kammer. Das sagte damals schon der junge Bauer Robert Zehentner. Er war Landesobmann der Landjugend und baute mit Melchior Kellner den Pinzgauer und Pongauer Maschinenring auf. Es waren zwei große politische Talente.
Praktisch gelenkt wird die Politik mit dem autoritären Prinzip ‚Wer zahlt schafft an‘ und Bauern, die Förderungen brauchen, knicken an dieser Stelle ein. Sie werden Abhängige. ‚Macht durch Fürsorge‘ heißt das Rezept. Die Sparkassen durften nicht an die Bauern herankommen.
So gesehen verstehe ich den enormen Zorn des Raiffeisenchefs auf mich. Ich verursachte ihnen hohe Kosten.
Nun ging mein Weg weiter nach Wien
„Ich habe für dich in Wien eine geeignete Aufgabe“, sagte im August 1973 Dr. Peter Gruber, Leiter der Bildung in der Katholischen Sozialakademie zu mir. Er vermittelte mich mit Franz Stummer. Es ging um die Gründung der österreichischen Bergbauernvereinigung. Franz Stummer war Leiter der Bergbauernabteilung in der obersten österreichischen Landwirtschaftskammer, der PRÄKO. Ich hatte vor allem bei solchen Übergängen auf eine neue Tätigkeit das Empfinden, ich müsse einem Ruf folgen.
3. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Die deftige Einführung von Franz Stummer in die Bergbauernpolitik
Franz Stummer war ein christlich sozialer Einzelkämpfer und ein guter Experte in Sachen Bergbauern. Der damalige Bundeskanzler Kreisky, dem die Bergbauern ein persönliches Anliegen waren, machte den ÖVP-Bauernbundtreuen Stummer zu seinem Berater. Stummer hatte bereits bei einem Juristen Statuten für eine Österreichische Bergbauernvereinigung vorbereitet und ich war nun dafür vorgesehen, dieses Ding österreichweit zu organisieren. Die Bauern müssten sich selbst politisch vertreten, sagte er und erklärte mir die Politik so:
„Es gibt eine Gaunerei in der Politik. Die Bergbauern werden als glaubwürdige und förderungsberechtigte Bauern vorne hingestellt, damit der Staat für sie Geld freimacht – kassieren tun aber dann ganz andere.“
Diese deutliche Ansage einer Gaunerei bedeutete Korruption im System, das war mir noch neu. Das ergab in meinem Leben das dritte Schlüsselerlebnis.
Diese deftige Grundinformation von Franz Stummer prägte sich wieder tief in meinem Empfinden ein und blieb somit im Zentrum meines weiteren Handelns.
Wir nannten diesen Vorgang den Vorspannmechanismus, und dieser Mechanismus erwies sich in den seither vergangenen rund 50 Jahren als sehr hartnäckig. Ungerechte Verteilung der Agrargelder und das Vorspannen anderer gibt es immer noch, und das in neuen Varianten. Das ist sowohl in Österreich als auch in der EU ein großes Thema geblieben. Nun, was passiert in diesem Mechanismus? Sieht man genauer hin, werden im Vorgang fünf Konflikte sichtbar:
- Die ärmeren Bauern werden durch das Vorschieben getäuscht, betrogen, bestohlen, diese Spaltungpassiert innerhalb des nach außen einheitlich wirkenden Bauernbundes.
- Auch die Steuerzahler/innen werden dabei getäuscht und benutzt, der Vorgang zeigt eine Korruption.
- betroffenen Bauern werden einfach kollektiv in Großgruppen, wie Bergbauern, Viehbauern, Milchbauern etc. mit solchen Abläufen gelenkt.
- Die Durchführung und Abwicklungen der Förderungen macht seit jeher der gespaltene Bauernbund in den Landwirtschaftskammern und im Ministerium.
Aufbau der Bergbauernvereinigung
Ich arbeitete dann ab Oktober 1973 an der Gründung der Österreichischen Bergbauernvereinigung (ÖBV). Die ersten drei Monate bis Ende 1973 konnte ich das noch als bezahlter Angestellter der Katholischen Aktion Salzburg machen. Ich bekam Adressen von Kursteilnehmern in der Katholischen Sozialakademie und von Führungskräften der Katholischen Jugend. Mit diesen Adressen fuhr ich quer durch Österreich auf der Suche nach Menschen, die zivilen Mut besitzen und sich etwas zutrauen – und ich traute es mir selber zu. Tatsächlich hatte ich bereits im dritten Monat 25 Interessenten und eine Interessentin für ein Gründungsseminar im Bundesheim für Erwachsenenbildung in Strobl für Mitte Dezember gefunden. Sie kamen von Osttirol bis Niederösterreich.
Ich plante das Seminar exakt so, dass Franz Stummer erst gegen Ende des Seminars sein Referat hielt und wir anschließend die ÖBV offiziell gründeten. Ich plante am Beginn drei Tage ein zur Einführung eines Politikansatzes für Beteiligung der Betroffenen von unten, so wie ich es in Brasilien gelernt hatte. Dabei wurde mein Plan zur Einführung der neuen Politik voll wirksam. Da die Teilnehmer ohnehin nur die übliche Politik von oben – vom Bauernbund – kannten, waren sie sehr dankbar für die neue Form der Beteiligungspolitik.
Ein unausweichlicher Konflikt mit Stummer
Als dann Franz Stummer am Ende des dritten Tages sein Referat hielt und der Ablauf seines Vorschlages nach dem üblichen Bauernbundprinzip nur von oben kam, er sich nur im Inhalt, aber nicht in der Methode unterschied, wurden ihm so viele Fragen gestellt, dass die Gründung zunächst scheiterte. Dieses Modell von oben haben wir bereits, bekam er mehrmals zu hören. Es ereignete sich soeben eine Revolution. Stummer war stinksauer auf mich und machte mir Vorwürfe, was ich da für einen widerspenstigen Zirkel organisierte.
Da er aber lernfähig und nicht nachtragend war, vollzogen wir dann doch im Jänner 1974 die gemeinsame Gründung der ÖBV, mit der Wahl eines Vorstandes.
Diese Sätze klingen einfach, aber jene Schritte so zu gehen kosteten mich meine ganze Kraft und ich bekam in Zeiten solcher Belastungen – wie in diesem Jahresübergang 1973/74 – Gallenschmerzen.
In einigen Sätzen: Wie ging es weiter
Wegen der ÖBV-Gründung zog ich mit meiner Frau Hilde – wir waren erst ein halbes Jahr verheiratet – Anfang 1974 nach Wien und kündigten dazu beide in Salzburg unseren Job. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Finanzierung im neuen Verein. Ich hing in der Luft. Da suchte Stummer in Wien mit Erfolg eine Arbeit für meine Frau Hilde als Kinderkrankenschwester, damit zumindest eine Geld verdiente. Für die kinderliebende Frau war das ein Volltreffer. Die Finanzierung der ÖBV erreichten wir erst ein halbes Jahr später über Kreisky und Minister Sinowatz bei der Erwachsenenbildung im Bildungsministerium.
Der Bauernbund zeigte mit Schikanen an Stummer sein wahres Gesicht
Franz Stummer – der treue Bauernbundmann – erlebte von seinen oberen Kollegen im Bauernbund nun die Hölle mit Terror. Bauernbunddirektor Sixtus Lanner war der Mann fürs Grobe und quälte Stummer am Telefon, dass dieser mehrmals nach den Gesprächen weinend anrief. Stummer verlor seinen Leitungsposten in der Bergbauernabteilung der PÖRÄKO und wechselte zu den Bundesforsten. Sein Nachfolger war ein guter Bekannter von mir, aber er bekam Kontaktverbot mit mir und als ich ihn zufällig traf, ‚erkannte‘ er mich nicht mehr. Das war Terror.
Das Verhalten von Stummer, dass er trotz dieser handfesten Schikanen seinem Bauernbund unterwürfig treu blieb, zeugt von einer Zwangsbindung zum Bauernbund, die man nur mit einem unbearbeiteten, früheren Trauma erklären kann. Zum Beispiel wollte Kreisky ihn als Staatssekretär für Bergbauern. Stummer antwortete, er müsse zuerst seinen Chef, den Bauernbundpräsidenten, fragen – und der sagte ‚nein‘.
Dieser Punkt, dass betroffene Bauernbündler trotz Schikanen und Verrat ihren Peinigern die Treue halten und sie wiederwählen, ist bekannt. Ich gehe im Erlebnis 7 darauf ein.
Das grenzwertige Treffen der mächtigen Bauernführung mit unserem jungenVorstand
Als ein halbes Jahr nach der Gründung der ÖBV die Bauernbund- und PRÄKO-Spitze unseren jungen Vorstand zu einer Aussprache einlud, wurde es in mehrerer Hinsicht grenzwertig. Stummer zitterte vor Aufregung und unsere frisch gewählten Obleute waren noch nicht trainiert genug, um so einem gebündelten Gegner gegenüberzusitzen. Unsere drei gewählten Obleute, Franz Stummer und ich saßen dann dem Spitzengremium der Agrarführung gegenüber. Die Luft war zum Schneiden dick. Nach einigem Hin und Her verlangte der Direktor Sixtus Lanner einen monatlichen Bericht. Wir spürten, jetzt geht’s um‘s Eingemachte, um unsere Selbständigkeit. Betretenes Schweigen breitete sich aus, bis es aus mir herausplatzte:
„Wir haben euch nicht gefragt, ob wir uns gründen dürfen, und wir werden euch auch nicht fragen, was zu tun ist.“
Eisiges Schweigen. Stummer war blass, unsere Gegenüber ebenfalls, die waren so eine eigenständige Antwort nicht gewohnt und Stummer wäre wohl – ohne meinen Beitrag – an dieser Stelle eingeknickt und wieder zurückgerudert. Die drei Bauern waren mit mir einverstanden, aber in diesen ersten Monaten noch nicht trainiert genug und geistig getrennt, um das ihren ‚Oberchefs‘ zu sagen.
Stummer erzählte mir später einmal, wie die Führungsspitze mich erlebte.
„Dem kann man nicht an, der ist im Ausland geschult“, sagten sie. Die nächste Bauerngruppe, ein gutes Jahr später, war bereits trainiert und sie sprachen ihre Eigenständigkeit selber aus, vor allem der Sepp Amerstorfer aus dem Mühlviertel.
Wir trainierten uns für professionelle Politik
Der Vorstand beschloss dann eine Serie von Trainingskursen für sich selber und einen erweiterten Kreis, wir machten ein starkes Training zur Selbstermächtigung mit dem deutschen Trainer Stefan Karlstetter. Nach zwei Jahren merkte die ganze Agrarpolitik, dass in den Regionen die ÖBV-trainierten Bauern wie Profis auftraten und den üblichen regionalen Politkern überlegen waren.
Sie waren Praxisexperten, die eine ungewohnte Politik kompetent von unten in das autoritäre System einbrachten.
Wir forderten zum Beispiel eine spezifische Bergbauernforschung. Dies wurde von der Regierung realisiert mit der bekannten Bundesanstalt für Bergbauernfragen.
Wir arbeiteten eng mit kritischer Wissenschaft zusammen, und das entwickelte sich weiter zu einer engen, produktiven Kooperation auch mit der Raumplanungsabteilung des Bundeskanzleramtes. Kreisky selber entdeckte das Potential der ÖBV-Bauern für Innovation am Land. Er empfing die Bauerngruppe mindestens einmal im Jahr in seinem Büro und kooperierte mit uns. Einmal betrachtete er die breitgearbeiteten Hände der anwesenden Bauern und fragte: „Wo habt denn ihr euer reichhaltiges Wissen her?“ – „Von der ÖBV“, antwortete Hans Gahleitner schlagfertig und zeigte seine breitgearbeiteten Hände. Eine sehr tiefe Symbolik: Der kluge Kopf und die fleißigen Hände.
Aus dieser Zusammenarbeit Bauern-Wissenschaft-Kanzleramt entstand die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Regionalentwicklung (ÖAR). In der Folge entwickelten sich viele Projekte mit Förderung des Bundeskanzleramtes. Die ersten Organisatoren waren: Adolf Kohlbacher (BK-Amt), Günther Scheer, Wien, Sepp Amerstorfer, Bauer, Toni Rohrmoser[1] und AdolfKastner im Waldviertel und Richard Hummelbrunner aus Graz.
Ab den 1980er-Jahren bildete sich in der ÖBV eine kritische Bäuerinnen- und Frauengruppe heraus. Es begann mit der Durchsetzung einer bundesweiten Rente für Bäuerinnen, die es immer noch nicht gab. Sie hatten mit ihrer Ausdauer anfangs der 1990er-Jahre Erfolg. Erst seither haben Bäuerinnen auch eine eigene Pension. Diese Gruppe stieg dann noch tiefer in das Frauenthema ein und arbeitete am zentralen Punkt der Selbstermächtigung der Frauen. Das berührt die Jahrhunderte alte Unterdrückung der Eigenständigkeit der Frauen und ist ein großes Thema.
Sieht man sich die geschichtliche Lage genauer an, dann kommt man zum Punkt, dass für diese Grundfrage einfach bis dahin die Zeit gar nicht reif war, um in diese Tiefen zu gehen und daran zu arbeiten. Es brauchte den inzwischen sieben Jahre alten Bewusstseinsstand der ÖBV als Rahmenbedingung. In den zwei Weltkriegen und in der Nachkriegszeit nach 1945 gab es keinen Rahmen für eigenständige Entwicklung der Frauen. Erst ab 1919 durften die Frauen überhaupt an Wahlen teilnehmen.
Mein Rückzug
Im Jahr 1980 – ich war nach sieben Jahren als Geschäftsführer der ÖBV gerade am Höhepunkt meiner Erfahrungen, brach in unsrer ÖBV zwischen einem Teil des Vorstandes und mir als Geschäftsführer ein Konflikt aus. Ich saß damals im Zentrum einer innovativen Bewegung, die schnell wuchs und die ihre Eigendynamik entwickelte. Ich ginge zu schnell voran, hieß der Vorwurf. Im Konflikt entschied ich mich nach sieben Jahren – schmerzlich aber klar – für die Beendigung meiner ÖBV-Tätigkeit. An meine Stelle trat Ambros Pree, ein versierter Organisator.
4. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Gelungene wirtschaftliche Kooperation in der Firma Chico-Hängematten
Wir haben in unserer ÖBV -Arbeit zum Beispiel unsren Bauern zugemutet, gemeinschaftliche Projekte aufzubauen. Ein solches Projekt zu machen traute ich mir nun auch zu und ich begann mit meiner Frau Hilde, aus dem Hobby Hängematten weben einen Gewerbebetrieb zu entwickeln. Wir wollten das Originalprinzip der Webform der Kaiabi-Indigenes in Brasilien, die mir eine Hängematte schenkten, beibehalten.
Dazu gab es aber nirgends ein Websystem, mit dem man eine Hängematte mit bezahlbarer Zeit produzieren konnte. Wir brauchten in unserer bisherigen Hobbyerzeugung noch sieben Stunden für eine Matte. Das musste mit Entwicklung der Webtechnik auf zwei Stunden reduziert werden.
Außerdem brauchte es ein Vermarktungskonzept. Ich war bereits in meiner Jugend ein leidenschaftlicher Maschinenbauer. Also begann ich im Keller des selbst erbauten Hauses in Eugendorf ein leistungsfähiges Websystem zu entwickeln und brauchte dazu drei Jahre, aber es gelang. Parallel dazu hatten wir schon Hängematten gewoben und verkauft und bauten uns auf verschiedenen Direktverkaufsmessen unser Marketing auf. Wir fanden dabei auch Händler, die unsere Sachen verkauften. Über den Direktverkauf an die Kunden auf Messen erhielten wir die nötigen Informationen für die Weiterentwicklung und Ausreifung unserer Angebote und neuer Produkte. So entstand bald die Doppelhängematte und Holzgestelle zum Aufhängen der Matten in den Gärten.
Nach drei Jahren war unser Keller zu klein
Nach drei Jahren wurde der Raum im Keller des Wohnhauses in Eugendorf zu klein und wir suchten nun einen Partner mit Grundflächen, der diese in das Projekt einbringen würde. Wir fanden den Partner in der Herkunftsfamilie meiner Frau, ihrem Bruder mit Bauernhof Franz Katzlinger und seiner Frau Rosi aus der Gemeinde Öpping bei Rohrbach im Mühlviertel. Der Schwager Franz hatte viel Raum und viel Talent für so eine Aufgabe. Zunächst begann er als gelernter Zimmerer mit der Herstellung der Hängematten-Holzgestelle, und seine Frau Rosi begann an einem Webstuhl Hängematten zu weben.
Nach einem Jahr gründeten wir 1985 die Chico Hängematten-GmbH. Meine Frau Hilde wurde Geschäftsführerin, Schwager Franz wurde Prokurist und Betriebsleiter. Die Geschäftsführung blieb in Eugendorf, so konnte Hilde die Kinderbetreuung und die Geschäftsarbeit gut miteinander verbinden, sie hatte die Arbeit in ihrem Haus. Die beiden Geschwister verband eine sehr gute, belastbare Beziehung, was sowohl für sie selber als auch für die Firma gut war. Der Schwager hatte die Fähigkeit, in die Spuren meiner Entwicklungen einzusteigen und sie dann auszureifen.
Bis dahin lag die Hauptlast der Aufbauarbeiten auf meinen Schultern, das musste aus dreiGründen geändert werden:
a) Die bisher nun fünfjährige Aufbauarbeit der Firma war für mich eine
spannende Sache, aber es zog mich zurück zur politischen Arbeit und diesmal
zur Afrikaarbeit.
b) Es begann der Neuaufbau eines Webraumes und von Werkstätten. Das
konnte nur der Inhaber des Bauernhofes selber leiten.
c ) Die Ehe zwischen mir und Hilde war kaputt und ich wollte eine Trennung, aber
es blieben drei gemeinsame Verantwortungsbereiche:
Die drei gemeinsamen Kinder
Das gemeinsame Haus in Eugendorf
Die gemeinsame Firma Chico-Hängematten
Das alles halbwegs gut für alle zu lösen stellte für alle eine große Herausforderung dar. Wir versuchten die Kinder und die Firma aus den persönlichen Konflikten der Trennung herauszuhalten und halbwegs faire Bedingungen zu schaffen: Ich überließ Hilde und den Kindern meinen Anteil am gemeinsamen Haus in Eugendorf, blieb aber Vater für unsere gemeinsamen Kinder und behielt auch meinen Anteil in der Firma-GmbH als Gesellschafter, gab aber meinen Anteil der bisherigen Firmenführung an die beiden Geschwister ab. So konnten wir uns alle gut bewegen und dieses HVorhabe nVoraben Vorhaben ging gut auf. Ich schied im Laufe des Jahres 1986 aus der Produktion aus.
Wir begannen bereits 1985 mit dem Neubau von Weberei und Werkstätten. Dabei bekamen wir auch Starthilfen für Regionalentwicklung vom Bundeskanzleramt bzw. Sozialministerium. Schwager Franz und seine Schwester Hilde entwickelten sich und die Firma in einem soliden Tempo, sie kreierten und entwickelten den Chico-Hängesessel, der zum Träger des Umsatzes wurde. Bis zum Jahr 2000 wuchs die Firma bis zu 30 Beschäftigten.
Wenn wir am Ende des Jahres unsere GmbH-Gesellschafter-Versammlung abhielten ging es auch um einen heiklen Punkt – nämlich den Beschluss über die Verwendung des Jahresgewinnes: Wird etwa alles wieder in die Firma investiert – was wir jahrelang auch machten – oder wird Geld an die Gesellschafter verteilt? Unser Steuerberater bewunderte mit Respekt, dass wir in der Sache Gewinnverteilung eine positive Ausnahme waren: Fast alle Firmen zerstreiten sich erbärmlich an dieser Stelle der Verteilung und geraten sich in die Haare.
Nun wird die Firma bereits einige Jahre von Sylvia und Georg, die Kinder des Schwagers, solide weitergeführt.
Die Chico-Hängematten-GmbH hat in der Region Rohrbach Arbeitsplätze und Steuereinnahmen gebracht. Sie hat den zwei Gründerfamilien Rohrmoser-Katzlinger sowie der Familie von Helga eine gute finanzielle Absicherung bewirkt. Die Chico-GmbH sicherte auch eine gute Ausbildung für meine drei Kinder, die ich mit Hilde habe; die Töchter Brigitte und Claudia und Sohn Martin.
Für mich waren Gründung und Aufbau dieses Wirtschaftsprojektes ein Lernprozess. Die Teilhabe an der Entwicklung und der Leitung einer fairen GmbH-Firma bleibt eine unverzichtbare Schlüsselerfahrung in meinem Leben.
5. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Die fehlende Förderung von Talenten in Afrika ist unterlassene Hilfeleistung
Ich hatte mich nun wieder freigemacht für Politik, dieses Mal für Entwicklungspolitik in Westafrika. Aus der Erfahrung und Praxis der Bergbauernvereinigung entstand das Konzept der Regionalentwicklung. Ich wollte nun mein Wissen darüber in Afrika ausprobieren und wir legten uns auf Kooperation mit bäuerlichen Selbsthilfegruppen in Westafrika fest. Es sollte ein Aufbau von Wertschöpfung möglich werden, indem man die Talente der Gegend sucht und sie fördert und begleitet. Wir waren am Beginn zur Gründung der EWA vier Personen:
a) Hans Geißlhofer, Raumplaner mit bereits 16 Jahren Afrikaerfahrung. Er
spricht perfekt französisch und ist ein guter Sahelexperte.
b) Leo Stelzer, Techniker, Maschinenbauer
c) Franz Hinterplatter, Techniker und Maschinenbauer als Geschäftsführer.
Wir organisierten den Aufbau einer Werkstätte und bereiteten die Gründung des Vereins vor. An der Gründung beteiligten sich auch Experten wie Richard Hummelbrunner, Raumplaner aus Graz, Raimund Hörburger, Soziologe aus Linz, und Hans Lindenbaum, Journalist aus Salzburg, die sich alle drei in den Vorstand wählen ließen.
Unser Programm begann 1987 und wir mussten wegen Differenzen mit der staatlichen Entwicklungshilfe 1989, als bereits erste Erfolge sichtbar wurden, wieder schließen. Wir konnten aber nach Klärungen 1992 noch einmal starten. Ein leitender Beamter unserer Entwicklungshilfe sagte, ländliche Regionalentwicklung sei zu komplex, und eine Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen war ihnen auch zu schwierig.
Die gesuchten Talente werden beraten und geschult, Existenzmöglichkeiten auszuloten und Wertschöpfungs-Projekte zu beginnen, die weiter begleitet werden um durchzuhalten, und um eine wirtschaftliche Bewegung in Gang zu bringen. Das ist eine Arbeit in vielen kleinen Schritten, aber wir wissen, wenn man das wirklich macht, funktioniert es. Man findet Talente, die sich für Aufbau interessieren und sich dann für ihr eigenes Land einsetzen wollen.
Denken wir zu Ende, dass wir bisher diese Potentiale nicht suchen und nicht fördern, ist das so krass zu definieren, dass es einem Unterlassen von Hilfeleistung gleichkommt, wenn wir uns weiter verweigern, die Potentialsuche in Afrika anzupacken. Mit den vorhandenen Potentialen eine Entwicklung in ihren Ländern selber zu beginnen ist die wichtigste Sache gegen den Hunger und letztendlich gegen die Überflutung Europas durch Wirtschaftsflüchtlinge.
Unsere Grundsätze und Ideen waren:
- Das technische Niveau in Regionen mit Ausbildungswerkstätten anzuheben
- Der Ansatz ist, auf den bereits vorhandenen Selbsthilfekräften in der Region
anzukoppeln und darauf aufzubauen
- Ein dritter Grundsatz ist, dass eine Zusammenarbeit aller Initiativen –
Kleinbetriebe wie Schmiede, Handwerker etc. – angestrebt wird. Das
Programm einer Regionalentwicklung soll mehrseitig sein, wie Gemüseanbau,
Aufforstung, Klima spezifische Spezialkulturen und weitere
- Die Selbsthilfeorganisation NAAM in Burkina Faso hat unterschieden zwischen dem Wert der Eigenleistung, (die sie selber einbringen, das nennen sie das warme Geld), und dem Geld der Förderer aus dem Norden (das nennen sie das kalte Geld.) Damit kann der Geförderte dem Förderer etwas mehr Autonomie entgegensetzen. Als außenstehender Förderer soll man auf solche Selbstverständnisse horchen, denn hier sind ihre inneren Selbststeuerungspunkte verpackt.
- Es gibt ein Problem der Nachhaltigkeit: Alle Förderungen sind zu kurzfristig strukturiert. Die Prozesse der Entwicklung von Wertschöpfungskreisläufen sind langsam. Eine Region wirklich zu einer eigenständigen Form zu begleiten und den Lebensstandard deutlich zu heben dauert 20 Jahre. Man muss also im Norden so langfristige Förderstrukturen entwickeln. Weil die Förderungen nicht langfristig sind, funktionieren so wenige Projekte.
Fazit: Die EWA- Salzburg begann im Jahr 1987 mit der Installation von regionalen Werkstäten für regionale Potentialsuche im Land Senegal und wir lieferten bis 1989 sieben Container, gefüllt mit je einer kompletten Werkstatt. Von den sieben Containern gingen vier nach Senegal, eine nach Guinea Bissau und zwei nach Burkina Faso.
Einfach zur Diskussion gestellt:
Welche Einrichtungen wären für Projekte in Afrika wesentlich? (für ein Programm der EU)
Ich nenne hier einige Punkte, die als eine Art Infrastruktur für Programme der Regionalentwicklung wesentlich wären
1. Man müsste gebietsweise Bauernuniversitäten errichten
Für zusammengehörende Regionen sollte ein Zentrum für Ernährungssicherung in Form einer Bauernuniversität aufgebaut werden. Es sollten Sammel- und Reflexionsstellen für umfassendes Ernährungswissen mit kritischer Reflexion sein über trockenbeständige Pflanzen, Sorten, Samen, Tiere, Arten und die entsprechenden Techniken, zum Beispiel: Welche Pflanzen wachsen mit wenig Wasser?
Solche und weitere Fragen sollten hier bearbeitet werden.
Dieses gesammelte regionale Wissen würde zusammengefügt mit dem allgemeinen, internationalen Wissen der Wissenschaft. Zusammen bildet das eine solide Grundlage für die Lehre auf dieser Universität. Es geht um die nachhaltige Bildung von Zentren, in denen umfassend und gründlich an der Ernährungsgrundlage der Region gearbeitet wird. Solche Bauernuniversitäten werden – wenn ihr Nutzen erkannt wird – unverzichtbar sein.
2. Es müssen spezielle ‚Ökonomen‘ für regionale Wirtschaftskreisläufe ausgebildet werden. Sie müssen in der Lage sein, regionale Wertschöpfungsketten mit mangelhaften Ressourcen aufzubauen und beratend zu begleiten. Das geschieht in gemeinschaftlichen Strukturen. Da braucht es einen eigenen Lehrbereich dazu.
3. Es braucht auch regionale Technikzentren, die angepasste Techniken vor Ort
entwickeln und erhalten.
4. Organisationsentwicklung betreiben. Dabei geht es um parallele Entwicklung von angepassten, antikorrupten Strukturen, die die Entwicklungen tragen können. Bestehende Strukturen sind oft korrumpiert.
Wäre eine solche Infrastruktur in Regionen Afrikas vorhanden, dann gäbe es viel mehr nachhaltige Entwicklung und Beschäftigung in Afrika.
EWS musste im dritten Jahr ihre Tore schließen.
1977 wurde mit dem Außenministerium eine jährliche Grundfinanzierung mit einer Million Schillinge vereinbart. Diese wurde im dritten Jahr zurückgehalten. Wir mussten unsere Entwicklungswerkstatt wieder zusperren und die Mitarbeiter/innen entlassen. Der wichtigste Finanzpartner, die staatliche Entwicklungshilfe, war somit ausgeschieden. Wir hingen nun in der Luft und mussten unsere eigene Werkstatt, die wir 1987 in Oberalm bei Hallein mieteten, wieder kündigen.
Richtige Enttäuschung wurde bei den Partnern in Afrika sichtbar, zum Beispiel der Präsident Famarah Dhiedhiou von der FONGS der senegalesischen Bauernorganisation hatte mitgedacht bei der Gründung der EWS. Er war sehr froh und dankbar darüber, dass wir von der EWA das Konzept der Kooperation mit Selbsthilfeorganisationen nicht nur besprochen, sondern auch verstanden und begonnen haben.
Diese Selbsthilfeorganisationen, die es in den1980/90er-Jahren gab, gibt es so nicht mehr. Die Politik hat hier ein riesiges Versäumnis zu verantworten. Diese Zeit der Wachheit der Selbsthilfe wäre eine Zeit der fruchtbarsten Zusammenarbeit Nord-Süd gewesen.
Ich hatte damals, als uns die Finanzierung 1989 abgedreht wurde, ein Beschwerdeschreiben an Außenminister Alois Mock gerichtet – welches mir mein Freund, Schreibprofi und Friedensforscher Rainer Steinweg aus Linz verfasste. Damals fanden gerade Nationalratswahlen statt und die ÖVP hatte dabei mit Josef Riegler schwer verloren. Bei der Nachbearbeitung und Ursachensuche war mein Schreiben an Alois Mock plötzlich ein wichtiges Thema und mein Papier stand im Mittelpunkt sowohl bei der ÖVP- als auch bei der SPÖ-Spitze. Alois Mock wurde wegen dem Fallenlassen unserer Afrikahilfe kritisiert. Man verlegte die Abteilung Entwicklungshilfe vom bisherigen Außenamt in das Bundeskanzleramt zum Kanzler Franz Vranitzky und dieser setzte den ehemaligen Botschafter und Senegalkenner Peter Jankowitsch als Staatsekretär ein, um u.a. die Entwicklungshilfe zu leiten.
Der unerwartete Neuanfang mit der Entwicklungswerkstatt Austria EWA
Unsere beendete Afrikahilfe wurde also vorübergehend zu einem politischen Faktor. Ich erhielt im März 1991 nichtsahnend einen Anruf von Staatssekretär Peter Jankowitsch. Ich sollte nach Wien zu ihm ins Außenamt kommen, er sei jetzt für die Entwicklungshilfe zuständig und wir könnten unsere Afrikahilfe wieder fortsetzen. Er sagte dazu, er hätte infolge meines Schreibens an Alois Mock und deren Folgen überhaupt erst seinen Posten bekommen. Ich machte dieses Treffen mit dem Staatssekretär und er ersuchte mich, Konzepte zu erstellen, sowohl für eine neue Entwicklungswerkstätte als auch für die ganze staatliche Entwicklungshilfe. Die zuständigen Beamten, die vor Jankowitsch‘ Einsetzung uns untergehen ließen, verhielten sich total verändert, denn meine Nähe zum Staatsekretär machte mich schlagartig mächtig. Sie waren nun überhöflich zu mir. Ich musste erst realisieren, dass ich plötzlich vorübergehend viel Macht hatte.
Ich wollte in der Neugründung, die wir dann EWA-Entwicklungswerkstatt Austria statt EWS nannten, nicht mehr die Geschäfte führen. Dazu bewarb sich Rudolf Graf, der bereits eine unserer Werkstätten in Burkina Faso aufgebaut hatte. Er besaß als ehemaliger Bürgermeister der Stadt Ebensee viel Verwaltungserfahrung. Als Start der EWA vermittelte uns der Raumplaner Hans Geißlhofer beim Kanzler Vranitzky ein 30-Millionen-Schilling Umwelt-Programm-Paket im Sahel. Da hatten wir dann viel zu tun, um die entsprechenden Projekte zu organisieren. Graf tat dies in Burkina Faso, ich im Senegal.
Es dauerte nicht lange, da verließ uns Staatsekretär Peter Jankowitsch wieder und ging im März 1992 nach Paris. Er konnte nicht mit Kanzler Vranitzky. Dieser holte Frau Brigitte Ederer als Staatssekretärin und sie übergab allen Einfluss der Entwicklungshilfe wieder komplett an die früheren Beamten zurück. Und so war auch mein vorübergehender Einfluss auf die Politik und die Beamten in Wien mit einem Strich komplett weg. Es wurde nun noch schlimmer, denn von deren Seite war auch Schadenfreude dabei. Unser Programmansatz der Selbsthilfeförderung wurde wieder abgelehnt.
Ich gab dann nach drei weiteren Jahren 1995 diese Afrika-Arbeit auf. Ich wollte so nicht mehr. Rudolf Graf führte die EWA noch 20 Jahre zäh weiter, bis auch er entnervt das Handtuch warf und zusperrte.
Fazit: Wenn ich diese Geschichte der Afrika-Arbeit im Gesamten ansehe merke ich, dass darin Höhen und Tiefen im Ablauf sichtbar werden. Es war jedenfalls anstrengend, aber auch sehr bereichernd, und ich bin insgesamt froh, diese Erfahrungen gemacht zu haben. Zu den Höhen zählen jene Ergebnisse, wo sich unsere Projekte bewährten. Schön fand ich auch die Freundschaft zum Kollegen Hans Geißlhofer, vor allem wenn wir im Senegal gemeinsam unterwegs waren. Auch verband mich eine Freundschaft mit dem Bauernpräsidenten Famarah. Er war eine große Persönlichkeit.
Wenn der Österreichische Botschafter im Senegal auf unseren Wunsch hin die regionalen Bauernführer als Partner in der Botschaft in Dakar zu einem Festessen einlud, merkte man deutlich unsere guten Beziehungen. Für die Gäste wurde aufgekocht und man würdigte ihre Arbeit. Da fühlten sich Bauernführer geehrt und genossen eine solche Würde, die sie in dieser Rolle wohl selten erleben durften.
Aber einmal habe ich mich dort für Österreich geschämt, das war eine Ausnahme. Ein neuer Mann, der frisch aus Österreich kam, hatte die Rolle als Kanzler inne (erster Sekretär des Botschafters). Dieser Mann fiel völlig aus der Rolle und reagierte rassistisch. Diese blöden Bauern haben im Haus nichts verloren, sprach er verächtlich auf Französisch mit seinem Kollegen. Der erbärmliche Mann merkte nicht, dass einer der sehr gebildeten Bauernführer namens Thierno Ba ganz in der Nähe stand und diese Entwürdigung der Bauern mithörte. Ich entschuldigte mich bei Thierno. Dieser ist nämlich ein in Paris studierter, sehr kompetenter Mann. Diese studierten Rückkehrer gelten als die besten Entwickler in Regionen.
Wie sollten wir denn die Hungerprobleme der Welt lösen, wenn wir die Bauern verachten?
Zu den Tiefen dieser neunjährigen Afrika-Arbeit zählt das Zusperren der EWS 1990 sowie ab 1992 die Neuauflage des Kampfes mit den Beamten im Ministerium. Beides schmerzte, denn ich hatte letztlich doch viel Herzblut in das abgewürgte Programm investiert und ich weiß, dass unser Konzept der Zusammenarbeit mit den Kräften der Selbsthilfe das richtige ist. Ich weiß auch, dass ich mich in der Sache Bauernbewegung auskenne, weil ich selber eine gründete. Jedenfalls prägten diese insgesamt neun Jahre Afrika-Arbeit stark mein Leben.
Abschließend: 1989 habe ich mit meiner damaligen Partnerin Andrea Fink aus Kassel einen Videofilm über die Arbeit der EWS mit der Bauernorganisation FONGS und Präsident Famarah gemacht. Die gute Beziehung, die wir mit den Bauern im Senegal hatten, kommt dabei gut heraus. Es gibt dazu eine 15-minütige DVD.
6. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Die Ausbildung zur Konfliktforschung. Josef Krammer holte mich aus dem Stillstand infolge meiner Parkinsonkrankheit zurück und die IG-Milch hat mich 10 Jahre gefordert
In der Phase Afrika-Arbeit, aber auch bereits vorher während der Arbeit in der Bergbauernvereinigung merkte ich immer mehr, dass wir uns oft in Konflikte verstricken und zum Nachteil aller Beteiligten da schwer wieder rauskommen. Ich sah, dass es auch professionelle Formen der Konfliktbearbeitung gab und beschloss, da etwas zu tun. Bei der Suche nach Fachbereichen der Konfliktarbeit stieß ich auf Frau Thea Bauriedl, die in München-Pasing so um 1989 herum ein ‚Institut für politische Psychoanalyse‘ gründete. Sie hatte vor, eine Gruppe von politisch Tätigen in Bayern und Österreich zu begleiten. Ich meldete mich zur Teilnahme. Eine Gruppe von zwölf Personen traf sich dann von 1989 bis 1999 zehn Jahre lang zwei Mal im Jahr je zwei Tage, um miteinander zu reflektieren. Das waren in Summe 20 Tage. Dabei erlebt man selber, wie entlastend es sein kann, wenn auftauchende Konflikte rechtzeitig erkannt und bearbeitet werden. Das wurde wieder zu einem Schlüsselerlebnis.
Es hilft bereits ein Verständnis, dass Konflikte etwas Normales sind und zum Menschen gehören. Man lernt auch, dass wir fast alle irgendwelche unbearbeiteten seelischen Verletzungen oder Traumata mit uns herumtragen. In Situationen, in denen unsere Psyche sich daran erinnert, wiederholen sich solche Traumata.
In der Realität gibt es in vielen Bauernfamilien solche versteckten Altlasten. Denn was nicht verstanden wird, wird wiederholt, heißt es in der Psychoanalyse.
Das Motto einer solchen Arbeit lautet: Das Persönliche ist politisch und das Politische ist persönlich. Es geht darum, den Zusammenhang zu sehen. Allein das Sich-Einlassen auf diese Art von Reflexion ist zunächst auch für mich selber ein Vorteil.
Ich begleitete seither viele Gruppen mit diesem Konfliktverständnis im Hintergrund. Insgesamt wurde es zu einem wichtigen Schlüsselbereich in meinem Leben.
Meine Parkinsonerkrankung greift massiv ein
Es war im Jahr 2007 im Sommer, als ich plötzlich eine neue Art von Schwindel, Sturzgefahr und eine Art Zittern im rechten Fuß verspürte. Als es wiederholt kam, ging ich zur Neurologin, diese schickte mich zur Untersuchung in die Klinik. Ich musste in eine Röhre und das Ergebnis lautete: ich hatte Parkinson. Ich war zu dieser Zeit 64 Jahre alt und gerade am Beginn meiner Pension. Kurze Zeit vorher, nach dem Tod meiner zweiten Frau, ging ich in eine Beziehung mit einer zweifach ausgebildeten Ärztin. Sie war Allgemein-Ärztin und hatte dazu noch eine umfangreiche Ausbildung in Naturheilkunde gemacht. Ich war sozusagen gut aufgehoben. Trotzdem ging zunächst meine Krankheit gnadenlos an mich ran. Es wurde erst wieder besser, als ich Parkinson in mir zu akzeptieren und zu integrieren lernte.
Die Krankheit muss man gleichzeitig als unheilbar präsent annehmen und mit Körperübungen und viel Sich-in-der-Natur-Bewegen der Verkrampfung entgegenhalten, einschließlich viel geistiger Übung wie lesen und schreiben. Ich habe dabei aber doch relativ bald für mich sehr wichtige Fähigkeiten wie Schreiben am PC mit Führung der Maus verloren. Vor allem rechtsseitig war ich sehr zittrig. Ich musste das Arbeiten am PC vorläufig aufgeben.
Aber da kam 2010 mein Freud Josef Krammer mit dem hinreißenden Vorschlag, mich an der Neuauflage seiner geschätzten Doktorarbeit von 1972 im ProMedia-Verlag neu aufzulegen. Ich sollte in 30 Seiten darin unsere Agrarpolitik beschreiben. Josef Krammer hat immer an Fähigkeiten in mir geglaubt, also war das ein überlegter, mich achtender Vorschlag. Ich wusste zu dem Zeitpunkt wirklich nicht, ob das geht und musste zunächst dieses chancenreiche Projekt ablehnen.
Da reiste ich mit meiner Partnerin, der Ärztin Edith Miczka von Bad Endorf am Chiemsee, zu Josef Krammer und seiner Partnerin Sybille in die Weststeiermark. Als wir dort dann alle vier zur Abendjause am alten geschichtsreichen Bauerntisch saßen, wurde meine Abwehr von allen drei Anwesenden – von Josef, Edith und Sybille – bearbeitet, bis ich eingekocht war und meine Abwehr überwand. Das war vor rund zwölf Jahren.
Da sieht man, was gute Freunde wert sind.
Gemessen an dem, was ich in diesen zehn Jahren zusätzlich zum Buchbeitrag noch alles machen konnte, war dieses Bearbeiten meiner Abwehr ein wichtiger Schritt und blieb als Schlüsselerlebnis in Erinnerung.
Der Beitrag zum „Der Kampf um ihre Rechte, Geschichte der Bauern und Bäuerinnen in Österreich“ wurde ein Erfolg und das Buch erschien 2012. Wir machten dann gemeinsam eine erfolgreiche Vorlesungsserie durch einige Bundesländer und die erste Buchpräsentation in Wien auf der BOKU organisierte die Bergbauernvereinigung ÖBV-Via Campesino.
IG-Milch: Es entstand eine nachhaltige Zusammenarbeit
Zu dieser ersten Buchvorstellung mit Josef Krammer kamen auch Ewald Grünzweil und Ernst Halbmayr, die führenden Köpfe der IG-Milch. Ich hatte nämlich die IG-Milch im Buch als eine seltene Organisation beschrieben, bei der Bauern sich von sich aus auf den Weg machten, um ihre Interessen selber zu vertreten. Das bildete den Anlass ihres Kommens und ich wurde dann zu ihren Versammlungen eingeladen. So entstand eine gute Zusammenarbeit.
Wir packten die für Bauern bisher schwierigen Fragen an – das sind Punkte, den Wachstumsdrang und -wahn betreffend, wie etwa ein Stopp des ‚Immer mehr, immer grösser‘- Werdens. Also ein freiwilliges Zurückgehen von der nicht tier- und standortgerechten Hochleistung. Oder ein freiwilliges Reduzieren von Übermengen. Ein solches Zurücknehmen selber zu diskutieren ist nicht geübt und ist schwer, aber umso wichtiger.
Wir gingen gemeinsam in eine Reflexion der nicht verarbeiteten Geschichte der ländlichen Bevölkerung ab 1848, wir untersuchten auch gründlich den Verlust der Selbsthilfeförderung bei Raiffeisen und einiges mehr. Ein Punkt, der immer wichtiger wurde, ist das Noch-vorhanden-Sein der Untertänigkeit des Großteils der Bauern: Die 1000-jährige Leibeigenschaft wurde zwar 1848 formal aufgelöst, aber nie bearbeitet. Dazu im nächsten Abschnitt mehr.
Dieser beständige Austausch hat auch meine Arbeitsfähigkeit trotz Parkinson im Alter von über 7o Jahren erhalten und es sind auch persönliche Freundschaften bei der IG-Milch entstanden. Jedenfalls ‚Danke‘ für das Vertrauen.
7. SCHLÜSSEL&ERLEBNIS: Das Untertansystem als Erbe vom Gottesgnadentum hat unsere Bauernwelt noch fest im Griff
Selten hat mich ein System so stark erfasst und beschäftigt in letzter Zeit wie das Gottesgnadentum.
Im Buch der Soziologin Inge Zelinka Der autoritäre Sozialstaat, Machtgewinn durch Mitgefühl in der Genese staatlicher Fürsorge[2] fand ich ihre Analysen um die Zeit von 1900, in dem sie das Denken des vom Adel abstammenden Karl von Vogelsang beschrieb. Er gilt als der geistige Begründer der Christlich-Sozialen Partei, die ab 1945 zur ÖVP wurde. Karl Vogelsang war noch 1900 ein Verfechter des Untertanenwesens bei den Menschen am Land mit Verhinderung der Aufklärung, weil die obere Schicht große Angst vor Aufklärung mit Aufruhr der Bevölkerung, wie es bereits bei den Sozialdemokraten sichtbar wurde, hatte. Vogelsang war ein Verfechter der caritativen Hilfe, aber die Strukturen wollte er einfrieren. Er definierte das Gottesgnadentum so:
„ Gott will, dass der Herrscher Herrscher ist und dass der Untertan Untertan bleibt und das soll sich auch nicht ändern.“
Das ist eine mit Gottes Willen begründete Herrschaftsordnung. Es entstand ein über 1000 Jahre eingeübtes Herrscher/ Untertan-System, in dem die höchste, übergeordnete Autorität, nämlich Gott, zur eigenen Machterhaltung benutzt und verwendet wird. Schlimmer geht’s nimmer. Wir haben hier die Grundform des Benutzerwesens vor uns.
Wer Gott als die höchste Autorität zum Unfug benutzt, der hat keine Skrupel, der benutzt auch die Mitmenschen beliebig wie Dinge oder lässt sich selber wie ein Ding benutzen. Und das soll alles von Gottes Gnade abgesegnet werden. Dazu kommt noch der zweite Hammer, nämlich, dass diese Regelung immer so bleiben muss.
Hier wird Gott auch dazu verwendet, jede Hoffnung auf eine Veränderung von vorne herein zu zerstören. Mit dem Benutzen von Gott wird das Benutzen der Untertanen mitlegitimiert und das verursacht ein Sich-benutzen-Lassen oder das Benutzen anderer Gruppen, die sozial noch weiter unten stehen.
Wir haben im Abschnitt 3. Erlebnis gesehen, dass es den Mechanismus des Vorschiebens der Glaubwürdigen zur Geldbeschaffung – welches dann andere abzocken – gibt.
Hier haben wir den Ursprung des Benutzens dazu. Wir sehen damit deutlich, dass dieses uralte System weiterlebt. Ich nenne ihn folgend kurz ‚UNTERTANSYSTEM‘.
Wenig Eigenständigkeit bei Bauern
Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit drei IG-Milch-Verantwortlichen, Ewald Grünzweil, Ernst Halbmayr und Erwin Thumfart. Drei Bauern, die viel Mut bewiesen haben. Sie erleben aber laufend, wie wenig Selbstständigkeit bei Bauern allgemein vorhanden ist. Sehr wenige getrauen sich, wenn ihre Rechte verletzt werden, ihrer Agrarführung, ihrer Molkerei, oder einer Handelskette entgegenzutreten und Widerstand zu leisten.
Ernst Halbmayr sagt:
„Die Unterwerfung ist in unserer Bauernschaft aus der Geschichte kommend heute noch voll da. Sie wurde in der 1000-jährigen Geschichte der Grundherrschaft geübt.“
Das Untertanen- System wurde zum GEN, also zur genetischen Veranlagung.
Er verweist auf die Trauma-Geschichte aus dem Mittelalter von Josef Krammer[3], wo ein Bauer in Admont aus dem früheren Gemeinwald, den sich aber die Fürsten aneigneten, und aus dem enteigneten Gemein-Wald verbotener Weise weiter Holz entnahm. Dem Bauern wurde zur abschreckenden Strafe die Handabgehackt.
Hier werden die Brutalität eines einzelnen Fürsten und der Druck auf Bauern sichtbar. Oder nehmen wir das enorme kollektive Trauma der unverhältnismäßigen Niederschlagung der Bauernaufstände durch das überlegene, kaiserliche Heer um 1626, wo in Oberösterreich 12.000 Menschen auf einem Schlachtfeld starben und tausende verletzt wurden.
Setzt man hier den zweiten Satz vom Gottesgnadentum „…und das soll sich auch nicht ändern…“ dazu, dann wird die Ausweglosigkeit, die die Menschen hatten, direkt spürbar, und diese Ausweglosigkeit ist für sich wieder ein eigenes Trauma.Beide Beispiele zeigen, wie gnadenlos mit aufständischen Untertanen umgegangen wurde. Das traumatisiert nicht nur einzelne, sondern wird zur kollektiven Depression der betroffenen Untertanen.
Ich war schockiert über Christdemokratische Bildungsverweigerung
Der Aufruf zur Untertänigkeit reicht noch weit in das 20. Jahrhundert herein. Das schockierte mich als einen, der immer für Aufklärung der Leute am Land eintrat.
Dieses Festhalten am Untertanensystem ging ja einher mit gleichzeitiger Bildungsverweigerung (Pelinka) an diese Menschen. Dem Landvolk wurde bis weit in die Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts die Bildung verweigert, sie erhielten etwa keine Aufklärung über die Abschaffung des Untertanenwesens, oder über die Einführung des Gleichheitsgrundsatzes in der Volksvertretung (alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich), die bereits in der Dezemberverfassung 1867 im Reichstag der Monarchie beschlossen wurde.
Die grundsätzlichen Veränderungen hat man dem Volk am Land nicht erklärt.
Dieser Übergang vom Untertanensystem zur selbstständigen Person und zur Demokratie ist eine sehr grundsätzliche, tief in die Persönlichkeit eingreifende Veränderung, das bedeutet formal vom antidemokratischen Klassensystem zur Demokratie mit dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, ein Wechsel von der Barbarei zu den Menschenrechten und von Fremdsteuerung zur Selbststeuerung.
Es liegt wohl auf der Hand, dass so erheblich große Veränderungen nicht ohne Aufklärung und ohne begleitende Unterstützung gehen. Genau das hat man aber den Menschen am Land verweigert. Im Gegenteil, man hat mit dem Untertanensystem weitergemacht und das blieb im Kern über die beiden Weltkriege bis in die 1950er-Jahre erhalten. Hauptgrund war die große Angst, dass mit Aufklärung ein Aufstand der einfachen Bevölkerung entstehen würde, so wie es 1900 bei den Sozialdemokraten sichtbar war. Die machten Aufklärung. Eine so beharrliche Verweigerung der Aufklärung und der Bildung wird auf Grund von Aussichtslosigkeit selber zu einem Trauma. Erst 1958 hat die Österreichische Bischofskonferenz die Katholische Sozialakademie gegründet, die allein durch ihre Existenz eine Wende bedeutete. Diese begann mit professioneller Aufklärung.
Diskussion um Weitergabe von Traumata
Wissenschafter befassen sich mit der Weitergabe von Traumata über mehrere Generationen. Das nennt man ‚transgenerative Weitergabe‘.
Zitat: …die dabei auftretenden Traumatisierungen schicksalhaft in der Psyche der nachfolgenden Generationen zu implantieren. Wo die Aufarbeitung nicht oder nur unvollständig gelingt, wird die Gefühlserbschaft zur Last auch noch für die Enkel/innen und Urenkel/innen. [4]
Traumata leben so lange, bis sie bearbeitet werden.
Wenn wir die Nachwirkungen von Traumata in drei Generationen annehmen, müssen wir uns jene ansehen, die in den letzten 100 Jahren, also bis zurück um 1900, passierten.
Dazu ein Beispiel:
Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es ein großes Bauernsterben, weil der Reichstag in den 1860er-Jahren das Erbgesetz von Grund und Boden liberalisierte. Der Boden konnte ab dem Zeitpunkt gekauft/verkauft werden.
Da wurden viele, viele kleinere Höfe in ihrer Not von Kapitalkräftigen aufgekauft. Das war die Zeit, in der Peter Rosegger den Roman ‚Jakob der Letzte‘ schrieb. Diese Verluste muss man als traumareich sehen.
Fazit: Allein dieser Punkt eröffnet uns den Einblick in das Leben dieser letzten Generationen. Eine Zeit, die als ‚Bauernlegen‘ bezeichnet wird. (Letztes Drittel des 19. und erster Teil des 20. Jahrhunderts, Josef Krammer.)
Diese Traumata führen zunächst zu einer weiteren Schwächung von Widerstands-Fähigkeiten, bis oft nichts mehr an Eigenständigkeit da ist. Es ist ein Zustand totaler einseitiger Abhängigkeit. In dieser Lage sind Menschen ihren Herrn auch für Schläge noch dankbar, weil er sie damit zumindest noch wahrnimmt.
Die Bauernführung ist im Untertan-Mechanismus gespalten
Die Form, wie Franz Stummer mir 1973 die Bauernführung erklärte, gibt uns einen tiefen Einblick in einen versteckten Herrscher/Untertan-Mechanismus in unserer Agrarpolitik. Unsere Bauern-Führung ist aus Vertretern aus Kammer, Bauernbund und Raiffeisen zusammengesetzt. Sie zeigt sich nach außen als eine Einheit, sie hat aber, seit ich sie kenne, eine verdeckte, innere Spaltung – in eine große Gruppe der vorgeschobenen glaubwürdigen Bauern auf einer Seite, und auf der anderen Seite die Minderheit der vorschiebenden Abzocker. Diese Leitung hat die erstaunliche Fähigkeit, diesen Mechanismus – den ich nun seit 50 Jahren kenne, inklusive den Abzockern streng geheim zu halten. Wir sehen hier wieder den Untertan-Mechanismus mit Spaltung der Gruppe, die von Gottes Gnade geschützt werden soll. Das normale Bauernbund-Mitglied im Dorf weiß zumindest offiziell nicht, dass sich in ihrer Organisation Abzocker befinden.
Hohe innere Verpflichtung der Mitglieder des Bauernbundes
Stummer ist 1973 wegen der Gründung der Bergbauernvereinigung bei seinen Chefs der Bauernführung in Ungnade geraten. Ich erinnere mich, dass er trotz Telefonterrors seines Bauernbunddirektors und trotz des Verlustes seines begehrenswerten Postens in der PRÄKO dem Bauernbund die totale Treue hielt. Was ist nun das Phänomen hinter dieser totalen Treue, die es massenhaft bei den Bauernfamilien gibt?
Die Antwort auf das Rätsel liegt sehr wahrscheinlich in der Klärung einer außergewöhnlichen, zwanghaften Verpflichtung, verbunden mit unverarbeiteter Abhängigkeit und Angst, etwa:
Wenn eine einseitige Abhängigkeit über lange Zeit sehr groß ist, kommt es zu einer Schwächung und Angst. Der Ängstliche sucht Zuwendung und Zugehörigkeit in der Gruppe, selbst dann noch, wenn er von dieser gequält wird. In der Not wird aus gesunder Auflehnung ein krankes unterwürfiges Kriechen und Betteln, um ein wenig Anerkennung von ihrem Herrn zu erhaschen. Das ist eine unterwürfige Identifikation mit dem Aggressor.
Nun erweitert sich das kranke Verhältnis.
Aus dem Widerstand der Untertanen wird eine freiwillige, innere Verpflichtung, das zu tun, was ihr Herr will, zum Beispiel ihn wieder zu wählen. Das ist ein Zeichen der Aufgabe des Widerstandes, weil das seelisch leichter zu ertragen ist als dauernd in einer Konfliktspannung zu stehen. Jetzt unterdrücken sich die Menschen selber im Interesse ihrer Herrn. Eine solche Art von innerer Verpflichtung ist nach meiner Analyse der Hintergrund des Rätsels, wenn Bauern ihre Verräter immer wieder wählen.
Hier noch eine Bemerkung zur aktuellen Situation der Bauernfamilien: Unsere Agrarpolitik ist völlig geschäftsorientiert. Wer viel kauft, ist im Trend. Aber die zweite Seite ist die Überschuldung, in der bereits viele Höfe drinnen stecken. Mit der Schuldenlast auf den Schultern wird der Landwirt oft wieder zum untertänigen Bittsteller, der gebückt beim Herrn Bauernvertreter um Geld ansucht.
Analyse zur Aufarbeitung des Gottesgnadentums
„Es ist Gottes Wille, dass der Herrscher Herrscher ist und der Untertan Untertan …“
Diese Verwendung von Gott (oder vom Gottesbild) zum Beschützer und Legitimierer einer Minderheit von Herrschern dauerte über 1000 Jahre, und das dabei über lange Zeit gelernte Untertanentum ist hartnäckig bis heute stark vorhanden und müsste dringend bearbeitet werden.
Eine selbstkritische Analyse der Kirche über ihre eigene Rolle in der Geschichte des Gottesgnadentums und eine anschließende öffentliche Diskussion darüber wäre für das politische Bewusstsein der ländlichen Bevölkerung von großer Bedeutung. Wo aus heutiger Sicht Fehlhaltungen im Sinne der Menschenrechte bei den Untertanen passierten, sollte sich die Kirche nachträglich davon distanzieren.
Das Ziel wäre es:
Eine selbstkritische, aufklärende Reflexion als Institution, aber auch als Personen, über das gottesgnadentum zu führen. Es sollte reflektiert werden, dass Gott zur Rechtfertigung von Macht über Menschen verwendet wurde. Und das Verwenden anderer Menschen und das Sich-verwenden-Lassenist überall gegenwärtig und zerstört die Beziehungen. Es sollte möglich werden, alte Traumata, die heute noch nachwirken, aufzuspüren und aufzuklären, um sie zu verstehen. Was verstanden wird, muss sich nicht mehr wiederholen.
Eine so ernsthaft geführte Reflexion über das Gottesgnadentum könnte durch ein Sich-Distanzieren der Kirche von Unrecht abgeschlossen werden.
Ein Beispiel einer Distanzierung der Kirche nach einer geschichtlichen Fehlentwicklung vollzog die Kirche in Brasilien um die Jahrtausendwende (2000 – 2003) anlässlich der 500-Jahr-Feiern von Christoph Kolumbus. Die Kirche drückte ihr Bedauern aus über Gewalt in den Beziehungen bei der Christianisierung mit fehlender Achtung gegenüber der Religion der Einheimischen. Die Kirche distanzierte sich von unsensiblen Formen der Glaubenslehre mit fehlender Achtung der vorhandenen Kulturen in der 500-jährigen Geschichte.
Das schaffte Würde bei den Betroffenen Indigenes.
Abschließender Dank: Viele Menschen sind mit mir gemeinsam ein Stück des Weges gegangen.
Allen, die mich im Leben begleiteten, dabei ein Stück des Weges mit mir gingen, möchte ich danke sagen.
Mit der Aufzeichnung der sieben Erlebnisse kann ich mich in den einzelnen Punkten selber anschauen, und wenn jemand anderer mein Leben mit Hilfe dieser Aufzeichnungen anschauen will, ist es eine Ehre für mich, und wer will, kann dann mit mir darüber reden.
Ich freue mich auf Gespräche darüber.
[1] Toni hat nach seinem Einsatz in Brasilien Pädagogik und Politologie fertigstudiert und mit Doktortitel abgeschlossen. Wir trafen uns bei der Arbeit wieder bei der Regionalentwicklung und er befasste sich viel mit dem Brasilianischen Volkspädagogen Paulo Freire
[2] veröffentlicht im LIT Verlag Wien 2005, ISBN 3-8258-8448-1
[3] Josef Krammer, Geschichte der Bauern, 1972
[4] Angela Moré: Journal für Psychologie
selerlebnisse