“Im Kampf um ihre Rechte” nennen Josef Krammer und Franz Rohrmoser ihre Geschichte der Bauern und Bäuerinnen in Österreich. Sie beginnt bei der Verfügungsmacht über Grund und Boden und endet bei den Auswirkungen der Globalisierung auf die Struktur der Landwirtschaft. Ausführliches Datenmaterial macht die vorliegende „Geschichte der Bauern und Bäuerinnen in Österreich“ zu einer Fundgrube für alle, die an der Landwirtschaft interessiert sind.
Erschienen im Promedia Verlag
Leseprobe: Strukturelle Gewalt in der Bauernvertretung
Der Begriff „Strukturelle Gewalt“ stammt vom Friedensforscher Johan Galtung. In seinem bekannten Beitrag schreibt er dazu: ,,Wird Gewalt in der strukturellen Form ausgeübt, dann kann es sein, dass die Opfer sich nicht einmal bewusst sind, was da vor sich geht. Die Opfer können vollkommen unorganisiert, apathisch, vereinzelt oder auf sonst eine Art und Weise außerstande sein, irgendeine Form der Verteidigung aufzubauen. Das Verhältnis ist also grundlegend asymmetrisch.“[1]
Galtung beschreibt damit einen Zustand, mit dem wir es beim Missbrauchsystem in der Agrarpolitik zu tun haben. In der Organisation der Berufsvertretung der Bauern und Bäuerinnen herrscht ein struktureller Zustand, indem die Großagrarier und ihre Verbündeten einen unkontrollierten Zugriff zum Fördertopf und zur Defintionsmacht der Förderkriterien haben. Auch hier liegt die Gewalt bereits in der Struktur, im System. Trotz zunehmender, öffentlicher Kritik etwa an der ungleichen Fördergeldverteilung, erhalten die Großagrarier ganz selbstverständlich weiterhin direkten Zugang zu den Fördertöpfen. Das gibt einen Hinweis auf zwei gravierende Probleme: einerseits wird im sich automatisch bereits Jahrzehnte lang wiederholenden Zugriff der Großagrarier auf die Fördertöpfe nicht nur eine Systematik, sondern auch eine Art von Sucht erkennbar. Andererseits lassen sowohl die Politik als auch die Betroffenen den Zugriff immer von Neuern zu. Sie ändern nicht die strukturellen Bedingungen, die den Zugriff ermöglichen. Im Bezug auf die Betroffenen trifft hier auch der oben zitierte Satz von Galtung bezüglich struktureller Gewalt zu: „Es kann sein, dass die Opfer sich nicht einmal bewusst sind, was da vor sich geht.“
Beim sich wiederholenden Übergriff und Zugriff der Agrarlobby auf die Fördertöpfe und die Definitionsmacht in der Politik liegt die Gewalt in der Struktur, sie ist in das Beziehungssystem der Beteiligten eingewoben und Teil des Systems geworden. Sie unterliegt im Bauernbund der Schweigepflicht und fällt vielen Opfern gar nicht auf. Eine Bewusstseinsbildung darüber wäre dringend notwendig.
[1] J. Galtung, Eine strukturelle Theorie des Imperialismus, in: Dieter Senghaas, Imperialismus und strukturelle Gewlt, Analysen über abhängige Reproduktion. Frankfurt am Main 1972, S. 50